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Zivilgesellschaftliche Akteure in Mexiko gegen Gewalt, Korruption und Narcos

Seit der mexikanische Präsident Calderón nach seinem Amtsantritt im Dezember 2006 den Kampf gegen die Drogen ausrief, sind über 50.000 Menschen 1) der Gewalt zum Opfer gefallen. Drogenkartelle, Polizei und Militär bekämpfen sich gegenseitig. 2) Folter, Entführung und Mord sind in vielen Regionen Mexikos an der Tagesordnung. Immer häufiger werden auch unbeteiligte Zivilisten in offensichtlich sinnlosen Massakern getötet. Drogenbanden gehen gewaltsam gegen Menschenrechtsverteidiger und Journalisten vor, die über die kriminellen Aktivitäten der Narcos berichten. Auch Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus, häufig auf der Durchreise in die USA, werden zu Opfern des Drogenkrieges. Dass mexikanische Behörden oder die Regierung diesem Konflikt in absehbarer Zeit Einhalt gebieten können, wird von den meisten Beobachtern inzwischen angezweifelt. Die Korruption vieler Behörden, die Verstrickung von Politikern und Parteien mit der Drogenkriminalität und die Rolle der USA als Drogenkonsument und Waffenlieferant sind wichtige Faktoren, die einer erfolgreichen Bekämpfung der Drogenkriminalität im Wege stehen.

Stattdessen treten immer mehr zivilgesellschaftliche Akteure in Mexiko auf, die sich gegen Gewalt und Korruption wenden und/oder Betroffenen Hilfe anbieten. Einer von ihnen ist der Priester Alejandro Solalinde, der vor gut einer Woche zum wiederholten Mal Morddrohungen erhielt. 3) Solalinde gründete im Jahr 2007 im Bundesstaat Oaxaca die Herberge »Hermanos en el camino« (dt. Geschwister auf dem Weg), die sich um illegale Einwanderer kümmert und ihnen einen sicheren Schlafplatz zur Verfügung stellt. Die rechts- und schutzlosen Migranten werden von den Drogenkartellen häufig entführt, um von Verwandten Lösegeld zu erpressen. Viele werden auch vor die Wahl gestellt: Mitarbeit im Drogenschmuggel oder Mord. „Die größten Herausforderungen, denen ich begegne, sind die Einschüchterungen, die Hetzkampagnen und die ständige Respektlosigkeit von jenen, die verhindern wollen, dass ich Migranten unterstütze. Angehörige der lokalen Behörden, kriminelle Banden und Drogenschmuggler würden uns Menschenrechtsverteidiger gerne loswerden“, so Solalinde. 4)

Noch direkter wendet sich der ehemalige Schriftsteller und Journalist Javier Sicilia gegen die Drogenkartelle. 5) Nach der Ermordung seines Sohnes im März 2011 – allem Anschein nach durch Mitglieder eines Drogenkartells – gab Sicilia vorerst das Schreiben auf und begründete den »Movimiento por la Paz con Justicia y Dignidad« (dt. Bewegung für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde). Mit zahlreichen Demonstrationen und zuletzt einer „Friedenskarawane“ durch die USA wollen die Aktivisten auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Zentrale Forderungen der Bewegung sind u.a. die Legalisierung und damit Regulierung des Drogenmarktes, der Abzug des Militärs und ein Ende des illegalen Waffenhandels in den USA, durch den Jahr für Jahr unzählige Waffen in die Hände der Drogenbanden gelangen.

Die größte Bewegung der letzten Monate in Mexiko ist »Yo Soy 132« (dt. Ich bin 132). 6) Als kleine Studierendeninitiative gestartet hat sie inzwischen das Ausmaß einer großen sozialen Bewegung angenommen. Sie fordern Demokratisierung und mehr Transparenz und protestieren gegen Korruption, das Medien-Monopol im Land und vor allem gegen den Ausgang der Wahl am 1. Juli diesen Jahres, bei der Enrique Peña Nieto, Kandidat der PRI, durch Stimmenkauf gewonnen hat. 7) Auch am noch amtierenden Präsident Calderón übt #YoSoy132 massive Kritik. Dieser hatte Anfang September in einer Ansprache positiv auf den Kampf gegen die Drogen während seiner Amtszeit zurückgeblickt. 8) Dies erwiderte die Studierendenbewegung mit einem eigenen Gegenbericht. Darin heißt es unter anderem: „Die Strategie der Militarisierung des Landes im Krieg gegen den Drogenhandel hat sich als nicht effektiv erwiesen, dieser Krieg hat die Schauplätze der Gewalt vervielfacht und verkompliziert. Dieser Krieg, den die Bevölkerung nicht fordert, hat eine wahrhaftige soziale Katastrophe verursacht: 80.000 Tote, 250.000 gewaltsam Vertriebene, 30.000 Verschwundene, 20.000 Waisen und 5.000 getötete Kinder. Diese Zahlen sind nicht nur ein Beleg der Schwere der sozialen Krise, in die die mexikanische Gesellschaft gestürzt wurde, sondern auch ein Zeichen der Geringschätzung, welche die Regierung Calderóns den Opfern des Krieges gegenüber zum Ausdruck bringt.“ 9)

Auch unter dem neuen Präsidenten Peña Nieto, der sein Amt am 1. Dezember antritt, wird es voraussichtlich eine starke Zivilgesellschaft benötigen, um der Gewalt und Korruption im Land zu trotzen. Bereits während des Wahlkampfes war die Vergangenheit von Peña Nieto kritisch beäugt worden, da ihm zu seiner Zeit als Gouverneur massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. 10)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Die Opferzahlen sind je nach Quelle stark schwankend.
  2. Amnesty International: „Amnesty Report 2012“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  3. Blickpunkt Lateinamerika: „Neue Morddrohungen gegen Solalinde“, Link nicht mehr abrufbar – 29.01.2014.
  4. Peace Brigades: „Priester als Verteidiger der Menschenrechte“, nicht mehr verfügbar
  5. Blogeintrag auf DrogenMachtWeltSchmerz: „Friedenskarawane zieht durch die USA“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  6. Der Name der Bewegung geht auf einen Hashtag im sozialen Netzwerk Twitter zurück; vgl. auch der Standard: „Auch Studentenbewegung zweifelt Ergebnisse an“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  7. amerika 21: „Peña Nieto offiziell neuer Präsident von Mexiko“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  8. Blogeintrag auf DrogenMachtWeltSchmerz: „Calderóns »Kampf gegen die Drogen« – Kontroverser Rückblick auf eine Amtszeit“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  9. Der komplette Gegenbericht „Contrainforme #YoSoy132“ ist auf Spanisch einsehbar unter sinembargo.mx, Spanisch: „El movimiento #YoSoy132 exige en su contrainforme medios imparciales, salud, seguridad y educación“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.
  10. Blogeintrag auf DrogenMachtWeltSchmerz: „Mexiko: Veränderung des Drogenkrieges durch einen neuen Präsidenten?“, zuletzt abgerufen am 28.09.2012.

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