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Nach El Chapos Festnahme: Ist der Drogenkrieg nun vorbei?

| Bild: © n.v.

Vergangenen Samstag gelang den mexikanischen Sicherheitskräften der wohl größte Fang seit einigen Jahren: der weltweit meist gesuchte Drogenhändler Joaquín Guzmán, auf dessen Auslieferung inzwischen über 5 Millionen Euro Belohnung ausgesetzt waren, wurde gefasst. Doch die Ergreifung von „El Chapo“ (für: der Kurze, Spitzname des gerade einmal 1.60 m großen Guzmán) war nicht die einzige lang erwartete Festnahme, welche die Regierungspartei PRI in letzter Zeit feiern durfte. Vergangenen Sommer fassten mexikanische Sicherheitskräfte Guzmáns Erzfeind Morales, den Boss des für seine außerordentliche Brutalität bekannten Zeta-Kartells sowie Treviño, den Kopf des Golfkartells. Erst Anfang dieses Jahres wurde Plancarte, Drogenboss von den Tempelrittern, geschnappt. 1)

Seit der Amtsübernahme von Präsident Enrique Peña Nieto 2012 werden Kartell-Bosse nach erfolgreichen Operationen als eine lebende Trophäe vorgeführt. Auch Guzmáns Festnahme wurde medienwirksam präsentiert. Der Regierung unter Peña Nieto kommt der Triumph über Guzmán gerade recht: Der Bevölkerung soll das Gefühl vermittelt werden, die PRI setze sich mit Erfolg für ein friedlicheres Mexiko ein. Zu diesem Zweck wurde die Kontrolle über die Medien verschärft und Statistiken über die Anzahl von Morden geschönt. Die Propaganda hat auch Inhalt: Tatsächlich ist die Gewalt auf den Straßen Mexikos ein wenig abgeklungen und auch die Mordrate sinkt. 1)

Nach der „Kingpin Strategie“, die von der US-amerikanischen DEA Anfang der 90er Jahre eingeführt und von Präsident Nietos Vorgänger Calderón stark befürwortet wurde, führt die Festnahme der größten Drogenbosse zu einer Schwächung des organisierten Verbrechens und schafft langfristig Frieden. 2) Bedeutet also die Festnahme des Drogenbosses Guzmán den endgültigen Sieg der Regierung im mexikanischen Drogenkrieg?

Keineswegs. Präsident Peña Nieto, der vielgefeierte „Retter“, tritt lediglich in die Fußstapfen seiner Vorgänger. Die meisten Präsidenten fassten in den ersten Jahren ihrer Amtszeit bekannte Drogenhändler, einige kamen auch während Kämpfen uns Leben. Doch trotz des Todes oder der Festnahmen von Kartellbossen führten sich Gewalt, politische Unterstützung der Drogenkartelle und Korruption fort. 1)

Die Hoffnung Mexikos Regierung liegt auf einem ähnlichen Erfolg wie in Kolumbien, wo Ende des letzten Jahrtausends durch verstärkte Operationen viele mächtige Kartelle stark geschwächt werden konnten. Doch in der Folge verlagerten die Drogenorganisationen ihre Tätigkeiten auf die umliegenden Länder. Das Drogenproblem in Amerika war keinesfalls gelöst. 2)

Laut Mexikos früherem Innenminister fragmentiere die „Kingpin Strategy“ die Kartelle eher und mache sie somit gewaltbereiter und gefährlicher. Aus 60 Kartellen wurden in den letzten Jahren 80 kleine und mittlere rivalisierende Fraktionen, die sich gegenseitig bekämpfen. 2) Experten fürchten, auch das Sinaloa-Kartell könne zerbrechen und Rivalitäten ausgelöst werden. Letztendlich könnte auch ein noch brutalerer Drogenboss die Führung übernehmen. 3)

Oft entstand durch die Festnahme oder den Tod eines Drogenbosses ein Machtvakuum, das zu einer neuen Welle von Gewalt führte. 4) Als der ehemalige Boss des Golfkartells Guillén 2003 gefasst wurde, ermöglichte die Festnahme dem Zeta-Kartell, seine auf Grausamkeit gestützte Macht im Osten Mexikos auszubreiten. Auch die blutigen Auseinandersetzungen im mexikanischen Staat Michoacán mündeten aus dem Tod eines Kartellbosses, dem Oberhaupt des la-Familia-Kartells. 5)

Andere wiederum glauben, dass selbst, wenn Guzmán hinter Gittern ist, das Sinaloa-Kartell – eine inzwischen weltweit operierende Organisation – eines der mächtigsten Drogenkartelle der Welt bleibe. Mehrere hohe Stellvertreter El Chapos wurden zwar kürzlich ergriffen, doch die führenden Drogenhändler des Sinaloa-Kartells Zambada (alias „El Mayo“) und Moreno (alias “El Azul”) sind weiterhin im Geschäft. 5)

Eine weiteres Hindernis, den Drogenkrieg auch durch die Köpfung der Kartelle endgültig zu gewinnen, ergibt sich aus der Korruption mexikanischer Sicherheitskräfte und Beamten. Wenn Guzmán tatsächlich Informationen und Verbündete preisgäbe, könnte es für einige ranghohe Funktionäre in amerikanischen Staaten unangenehm werden. „Viele wollen ihm an den Kragen, aber noch mehr schützen ihn“, sagt eine Drogen-Ballade über Guzmán. 3) Auch Peña Nietos Partei wurde lange der Korruption angeklagt. 2)

Peña Nietos nächste Entscheidungen werden seine Amtszeit definieren. Vielleicht wird die Regierung mit Guzmáns Komplizen „El Mayo“ oder “El Azul” kooperieren. Letzterer bietet sich eher an, denn er gilt als friedlicher als sein Kollege, von dem die meisten Verwandten bereits festgenommen wurden. Doch mit größerer Wahrscheinlichkeit wird die PRI versuchen, weiterhin große Drogenbosse auszuschalten, die mächtigsten Kartelle zu enthaupten und einzuschüchtern, um dann rangniedrigere Kartelle zu einem staatlich geführten Bündnis zu führen. 1)

Viele Experten raten jedoch immer dringlicher von einem mit Gewalt geführten Drogenkrieg ab und fordern alternative Lösungen. 4) Der Kampf der mexikanischen Regierung gegen das organisierte Verbrechen sowie die brutalen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Kartellen forderten inzwischen etwa 80.000 Menschenleben. 6)

 

Foto: Präsident Peña Nieto; Urheber: Chatham House

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. The Guardian: el Chapo arrest: mexico most wanted drug kingpin end era; erschienen am 24.02.2014; aufgerufen am 25.02.2014
  2. The Atlantic: Why Killing Kingpins Won’t Stop Mexico’s Drug Cartels; erschienen am 27.02.2013; aufgerufen am 25.02.2014
  3. Tagesspiegel: Mexiko droht neue Welle der Gewalt; erschienen am 23.02.2014; aufgerufen am 25.02.2014
  4. Bundeszentrale für politische Bildung: Innerstaatliche Konflikte: Mexiko; zuletzt aktualisiert am 14.01.2014; aufgerufen am 25.02.2014
  5. The Atlantic; El Chapo and the Faceless Future of Mexico’s Drug War; erschienen am 24.02.2014; aufgerufen am 25.02.2014
  6. Süddeutsche Zeitung: USA wollen Drogenboss „El Chapo“ vor Gericht stellen; erschienen am 24.02.2014; aufgerufen am 25.02.2014

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