Zum Inhalt springen

Nach einem Jahr Duterte – Drogenkrieg wird zum Kampf gegen Terror

Die Philippinen ziehen Bilanz. Und die Welt tut es auch. Seit etwas mehr als einem Jahr ist Rodrigo Duterte Präsident und Oberbefehlshaber des südostasiatischen Inselstaates. Diese Bilanz liest sich erstaunlich und lässt einiges an Interpretationsspielraum. Meinungsumfragen bescheinigen ihm bis zu 80 Prozent Zuspruch aus der Bevölkerung. Gleichzeitig zeigt sich die Weltgemeinschaft besorgt bis erschüttert über etwa 10.000 Todesopfer, resultierend aus einem rücksichtslosen Krieg gegen Drogen. Dazu kommt seit Mai diesen Jahres islamistischer Terror welcher den Süden des Landes in Atem hält | Bild: © n.v.

Die Philippinen ziehen Bilanz. Und die Welt tut es auch. Seit etwas mehr als einem Jahr ist Rodrigo Duterte Präsident und Oberbefehlshaber des südostasiatischen Inselstaates. Diese Bilanz liest sich erstaunlich und lässt einiges an Interpretationsspielraum. Meinungsumfragen bescheinigen ihm bis zu 80 Prozent Zuspruch aus der Bevölkerung. Gleichzeitig zeigt sich die Weltgemeinschaft besorgt bis erschüttert über etwa 10.000 Todesopfer, resultierend aus einem rücksichtslosen Krieg gegen Drogen. Dazu kommt seit Mai dieses Jahres islamistischer Terror, welcher den Süden des Landes in Atem hält 1) 2).

Auf der südlichen Insel Mindanao aufgewachsen, schaffte es Duterte in deren größter Stadt Davao City bis zum Bürgermeister. Der Politikwissenschaftler und Publizist Rainer Werning schreibt in der ZEIT über Dutertes Herkunft: „Wer sich dort politisch etablieren wollte, brauchte entweder spektrumübergreifendes Charisma oder harte Bandagen. Duterte eignete sich Ersteres an, verfügte über Letzteres und setzte beides erfolgreich im Wahlkampf zum Präsidenten ein.“ In diesem Wahlkampf versprach Duterte schließlich im Jahr 2015 vor jubelnden Anhängern einen erbitterten Kampf gegenüber Korruption und Kriminalität – insbesondere jener, bei der Drogen die Hauptrolle spielten. Werning nennt diese harte Gangart „Dutertismo“. Mit dieser schaffte er es am 30. Juni 2016 bis in den Malacañang-Palast von Manila, von welchem aus er von nun an mit harter Hand regieren sollte 3).

Der Weltdrogenbericht aus dem Jahr 2016, veröffentlicht von den Vereinten Nationen, illustriert den weltweiten Missbrauch illegaler Substanzen. Die Philippinen bilden hier keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Knapp vier Prozent der rund 100 Millionen Philippiner sollen süchtig nach Rauschgift sein. Allein über zwei Prozent der Bevölkerung sind abhängig von stimulierenden Amphetaminen, welche als die am weitesten verbreiteten Rauschmittel im südostasiatischen Raum gelten 4). Erbarmungslos erklärte Duterte den Drogen mit Amtsantritt den Krieg. Sicherheitskräfte und Mordkommandos wüten seitdem durchs Land, die Polizeistationen verzeichnen Rekordzahlen in ihren Verhaftungsstatistiken. Die Gefängnisse sind überfüllt. Die Jagd gilt nicht nur Dealern, sondern auch deren abhängigen Kunden. Es wird gemordet, viel gemordet. Der Großteil der Bevölkerung ist eingeschüchtert, steht unter enormem Druck. Genau das scheint auch ein Motiv des Präsidenten zu sein, aus dessen Zeit als Bürgermeister der Millionenstadt Davao City ähnliche Berichte hervorgingen. Auch wenn es zweifelsohne Befürworter seines radikalen Regiments gibt, wirken die Zahlen seines Zuspruchs doch sehr illusorisch. Viele Kritiker werden weggesperrt, mundtot gemacht. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigt sich hinsichtlich der Lage im Land beunruhigt und spricht von Schikane 5).

Schikane beklagen auch die Muslime, die in dem überwiegend katholisch geprägten Land etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen und größtenteils im Süden leben. Bereits in den 1950er Jahren förderte die Regierung von Manila aus die Besiedelung Mindanaos durch Christen. Diese durften plötzlich mehr Land besitzen als die Einheimischen. In den meisten Regionen wurden die Muslime dadurch in ihren angestammten Gebieten zur Minderheit. Seither beklagen sie den Verlust von Heimat und Souveränität. Derartige Enteignungs-Kampagnen sind der ideale Nährboden für Unabhängigkeitsbestrebungen, Konflikte, Rebellion und Terrorismus. So herrschen seit den 1970er Jahren konstant bürgerkriegsähnliche Zustände, nur unterbrochen von vereinzelten Ruhepausen. Diplomatische Lösungen scheitern meist an beiden Seiten 6).

Richtig eskaliert ist die Lage auf Mindanao im Mai. Muslimische Aufständische überrannten die Stadt Marawi, plünderten Waffenlager und befreiten gleichgesinnte Häftlinge aus dem lokalen Gefängnis. Plötzlich wehten schwarze Fahnen in der 200.000-Einwohner-Stadt. Wie der Islamische Staat (IS) in Syrien möchten diese Aufständischen – solidarisch mit dem großen Vorbild – ein Kalifat im Süden der Philippinen errichten. Falls Mitglieder des IS aus dem Nahen Osten vertrieben werden, dient das neue Kalifat in Südostasien auch als Auffangbecken. Da mehrere Rebellengruppen immer wieder wechselnd um die Errichtung eines Islamischen Staats einerseits, aber auch um politische Autonomie andererseits kämpfen, kann man nicht zwingend nur von einem religiösen Konflikt sprechen 7) 8).

Ende Mai verhängt Präsident Duterte für 60 Tage das Kriegsrecht über die Region Mindanao. Grundrechte der Bevölkerung werden somit teils außer Kraft gesetzt. Duterte vertritt wie im Kampf gegen Drogen nun auch gegen Islamisten eine absolute Null-Toleranz-Politik. Für diese war er auch schon während seiner Bürgermeister-Jahre in Davao City bekannt. Die Metropole gilt heute als sicherste Großstadt im ganzen Land. In Marawi stellt sich die Lage derzeit diametral anders da. Gewalt und Leid herrschen vor; für die, die die Flucht nicht rechtzeitig schafften, ist es nun zu spät. „Wenn das den Tod von vielen Leuten bedeuten sollte, dann sei es so“, sagte der Präsident im Hinblick auf den Ausnahmezustand. Was wie eine Drohung klingt, wird von der Regierung als Schutzmaßnahme propagiert. Der Präsident gefällt sich in der Rolle des Gnädigen, aber auch des „Vollstreckers“. Diesen Spitznamen hat er sich über viele Jahre angeeignet 9).

Duterte sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem neu aufkeimenden Terrorismus und dem Drogenproblem im Land. Hinlänglich bekannt ist die Tatsache, dass sich viele Terrornetzwerke über den Anbau und den Verkauf von Drogen (mit-)finanzieren. Drogen nähren also den Terror. Mit dieser Botschaft gelang dem Präsidenten ein gewiefter Schachzug. Da die Mehrheit im Land das harte Vorgehen gegen die „Christenmörder“ unterstützt, ist nun auch der Rückhalt im Krieg gegen die Drogen gewachsen. Auch die katholische Kirche äußert nur leise und kaum vernehmbare Kritik. Aus der internationalen Gemeinschaft handelte sich Duterte letztens gar ein Lob ein. US-Präsident Trump bezeichnete das rücksichtslose und äußerst brutale Vorgehen des philippinischen Machthabers als „sagenhaften Job“. Die USA – sonst verlässlicher Partner und ehemaliger Kolonialherr – standen in jüngerer Vergangenheit nicht mehr bedingungslos an philippinischer Seite. Nachdem der damalige US-Präsident Obama seinen philippinischen Amtskollegen bezüglich der Lage in seinem Land ermahnte, nannte der ihn einen „Hurensohn“ und drohte damit, die Beziehungen zu den USA aufzukünden. Nur eine von vielen größeren und kleineren Entgleisungen Dutertes. Besonders im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung kann die Regierung in Manila nun wieder die komplette Unterstützung aus dem Weißen Haus erwarten 10) 3) 11).

Experten aus dem In- und Ausland sind sich uneins darüber, ob die Drogenproblematik als Symptom oder als Ursache der Probleme im Land anzusehen ist. Gewiss ist jedoch, dass das Land, das an der Schwelle zu den BRIC-Staaten steht, mit vielen großen und kleinen Problemen zu kämpfen hat. Ein starkes Nord-Süd-Gefälle im Einkommen ist fraglos als Ursache sowie als Katalysator für die dramatische Situation im Süden zu benennen 12). Höchstwahrscheinlich wird sich Präsident Duterte jedoch auch zukünftig zuvorderst mit zwei Themen befassen: Drogen und islamistischer Terror. Und höchstwahrscheinlich wird er beide mit der gleichen Härte und der gleichen Wertung behandeln. Von den USA darf man keine Intervention erwarten, von islamisch geprägten Ländern aus der Region wie Indonesien oder Malaysia schon eher. Hier liegt die Art der Einmischung jedoch eher im Ungewissen – so wie die gesamte Zukunft der Philippinen.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1.  Süddeutsche Zeitung: Rodrigo Dutertes verblüffende Popularität; Artikel vom 28.06.17
  2. Domradio: Drogenkrieg, Terrorgefahr, Verachtung der Menschenrechte; Artikel vom 30.06.17
  3. ZEIT Online: Die Erfindung des Dutertismo; Artikel vom 30.06.17
  4. UNODC: World Drug Report 2016; Stand vom 12.07.17
  5. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Präsident im Blutrausch; Artikel vom 07.09.16
  6. Bundeszentrale für politische Bildung: Philippinen – Mindanao; Stand vom 15.01.16
  7. Neue Zürcher Zeitung: Schwarze Flaggen auf Mindanao; Artikel vom 02.06.17
  8. Spiegel Online: Warum Duterte jetzt gegen den IS kämpft; Artikel vom 01.06.17
  9. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Terror in den Tropen; Artikel vom 26.05.17
  10. Deutschlandfunk: Eskalation im umkämpften Marawi; Artikel vom 17.06.17
  11. Spiegel Online; Trump lobt Duterte für blutigen Anti-Drogenkrieg; Artikel vom 24.05.17
  12. Humedica: Informationen über die Philippinen; Stand vom 12.07.17

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert