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In Mexikos Gefängnissen herrschen die Kartelle

In Mexiko hat eine kriminelle Gruppe einen Gefängnisdirektor und seinen Sohn entführt und die beiden als Druckmittel für die Freilassung zweier inhaftierter Mitglieder benutzt. Der Vorfall ereignete sich in Tepeca im südöstlich gelegenen Bundesstaat Puebla. Laut der Vizedirektorin des Gefängnisses habe die Gruppe gedroht, die beiden Geiseln zu foltern und umzubringen. Daraufhin seien die beiden Insassen mit Zivilkleidung ausgestattet und umgehend aus dem Gefängnis eskortiert worden. Der Direktor und sein Sohn wurden am Ende unbeschadet freigelassen. Dieses Ereignis verdeutlicht einmal mehr, welche Macht die organisierte Kriminalität über die Gefängnisse Mexikos hat. Denn vielerorts sind es die Drogenkartelle, die die Haftanstalten kontrollieren und nicht die Behörden. | Bild: © n.v.

In Mexiko hat eine kriminelle Gruppe einen Gefängnisdirektor und seinen Sohn entführt und die beiden als Druckmittel für die Freilassung zweier inhaftierter Mitglieder benutzt. Der Vorfall ereignete sich in Tepeca im südöstlich gelegenen Bundesstaat Puebla. Laut der Vizedirektorin des Gefängnisses habe die Gruppe gedroht, die beiden Geiseln zu foltern und umzubringen. Daraufhin seien die beiden Insassen mit Zivilkleidung ausgestattet und umgehend aus dem Gefängnis eskortiert worden. Der Direktor und sein Sohn wurden am Ende unbeschadet freigelassen. Dieses Ereignis verdeutlicht einmal mehr, welche Macht die organisierte Kriminalität über die Gefängnisse Mexikos hat. Denn vielerorts sind es die Drogenkartelle, die die Haftanstalten kontrollieren und nicht die Behörden. 1)

Das belegt auch ein vor kurzem erschienener staatlicher Bericht, der zu dem Schluss kommt, dass kriminelle Gruppen in Mexiko zwei Drittel aller Gefängnisse fest in ihrer Hand haben. Um die Haftanstalten steht es also denkbar schlecht. Gewalt ist an der Tagesordnung. Laut der nationalen Menschenrechtskonvention CNDH kam es in den Gefängnissen im Jahr 2015 zu mehr als 2000 gewalttätigen Auseinandersetzungen, darunter auch einige blutige Aufstände. Die werden oft dadurch ausgelöst, dass zwei verfeindete Gruppen aufeinandertreffen. Als erschreckendes Beispiel sticht hier der Aufstand im Topo Chico Gefängnis im Februar 2016 hervor, bei dem 52 Häftlinge starben. Zwei rivalisierende Fraktionen des Zeta-Kartells kämpften damals um die Vorherrschaft. 2) 3)

Es sind gerade die Zetas, die bei der Machtübernahme in Gefängnissen besonders erfolgreich sind, wie man am Fall der Piedras Negras Haftanstalt erkennen kann. Inhaftierte Zeta-Mitglieder wandelten sie in ihre Operationsbasis um und ließen 130 Häftlinge frei. Außerdem benutzten sie das Gefängnis als Massengrab, in dem sie 150 Leichen vergruben. 2) 4)

Die Kontrolle der Zetas über Mexikos Gefängnisse ist so groß, dass sogar manch ein Gefängnisdirektor diesen Umstand für sich nutzen will – so geschehen in Cadereyta im Nordosten des Landes. Dort hatten die Häftlinge gegen neu eingeführte Sicherheitsbestimmungen protestiert. Der Direktor verfolgte daraufhin den Plan, einige Zeta-Häftlinge aus anderen Haftanstalten nach Cadereyta zu verlegen. Sie sollten die Kontrolle über das Gefängnis übernehmen und die rebellischen Insassen zähmen. Als sich das herumsprach, kam es zu einem Aufstand, 13 Häftlinge starben. Ausgelöst wurde die Gewalt wohl von Mitgliedern des mit den Zetas verfeindeten Golf Kartells. 4)

Der staatliche Bericht kommt weiterhin zu dem altbekannten Schluss, dass die mexikanischen Gefängnisse überfüllt sind. Das liegt zum großen Teil an den Untersuchungshäftlingen, die 40 Prozent der Insassen ausmachen. Hinter Gittern herrschen zudem für die meisten Inhaftierten höchst prekäre Zustände vor. CNDH gesteht „Defizite bei den hygienischen und materiellen Bedingungen“ ein. Allerdings gibt es in vielen Gefängnissen auch „privilegierte Areale“, die beispielsweise hochrangigen Kartellmitgliedern Zugang zu Luxusgütern erlauben. 2)

Wiederum dient Topo Chico hier als Mikrokosmos für die mexikanischen Gefängnisse, der all diese Probleme veranschaulicht. Zum Zeitpunkt des Aufstands hielten sich dort 35 Prozent mehr Häftlinge auf, als die Maximalkapazität zugelassen hätte. Die Kartellbosse bewohnen anscheinend Luxuszellen. Sie haben wohl Klimaanlagen, Aquarien, Saunas und eine Bar zu ihrer Verfügung. Dagegen müssen die meisten anderen Insassen Berichten zufolge mit ungekühlten Zellen ohne Licht und Wasser auskommen. 5)

Überfüllung, hygienische Missstände, Gewaltbereitschaft der Insassen – kommen all diese Faktoren zusammen, bieten sie die ideale Grundlage für die Machtübernahme durch die organisierte Kriminalität und den Kontrollverlust des Staates. Und für die grassierende Korruption, die in Mexikos Gefängnissen keine Ausnahme, sondern die Regel ist. Exemplarische Fälle, die das aufzeigen, gibt es unzählige. 4)

Da wäre beispielsweise ein Video, das im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde. Es zeigt Szenen aus der Puente Grande Haftanstalt, die in der Nähe von Guadalajara liegt. Man kann sehen, wie Mitglieder des Kartells Jalisca Nueva Generación völlig unbehelligt eine Party zu Ehren von „Don Chelo“ feiern, der das Gefängnis kontrolliert. Sie trinken und tanzen, sogar eine Band ist vor Ort, um ein Konzert zu geben. Nur von den Wärtern fehlt jede Spur. 6)

Dabei ist Puente Grande ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem sich einige der gefährlichsten Kriminellen Mexikos aufhalten, darunter das ehemalige Oberhaupt des Juárez Kartells. Früher war hier auch Joaquín „El Chapo“ Guzmán inhaftiert, der mächtige ehemalige Boss des Sinaloa Kartells, bevor er Anfang 2001 mit der Hilfe eines bestochenen Wärters entkam. Seitdem scheint sich in Puente Grande in Sachen Korruption nicht viel verändert zu haben. 6)

Dabei sind es gerade die Ausbrüche, die immer wieder auf das Korruptionsproblem in den mexikanischen Gefängnissen aufmerksam machen. „El Chapo“ beispielsweise konnte nach seiner Flucht aus Puente Grande im Februar 2014 erneut gefasst werden. Diesmal kam er ins Hochsicherheitsgefängnis El Altiplano, das als sicherste Haftanstalt des Landes gilt. Doch nur 16 Monate später war er bereits wieder ausgebrochen. 7) 8)

Seine spektakuläre Flucht sorgte international für Aufsehen und war damals eine empfindliche Niederlage für die Regierung des mexikanischen Präsidenten Peña Nieto. „El Chapo“ entkam durch ein Loch in der Duschdecke seiner Zelle, das in einen Tunnel hineinführte. Dieser war mit einem Belüftungssystem, Beleuchtung, Sauerstoffvorräten und einem umgerüsteten Motorrad auf Schienen ausgestattet. Er endete nach 1,5 Kilometern auf einem abgelegenen Grundstück. 8)

Edgardo Buscaglia, Experte für Organisierte Kriminalität an der Columbia Universität in New York, meint, der Tunnel habe die Dimension eines öffentlichen Bauprojekts gehabt. Seine Ausstattung lässt auf aufwendige Bauarbeiten und Baulärm schließen – und das alles in unmittelbarer Nähe zu einem Hochsicherheitsgefängnis, das Tag und Nacht mit Überwachungskameras und Bewegungssensoren überwacht wird. Ohne bestochene Gefängnismitarbeiter wäre das alles schlicht nicht möglich gewesen. Und tatsächlich wurden nach „El Chapos“ Ausbruch der Direktor und einige weitere Angestellte und Wärter festgenommen. 8)

Buscaglia sieht in der Flucht „ein Symbol für die weitverbreitete politische und operative Korruption in Mexiko, die völlig außer Kontrolle geraten ist“. Im Land herrsche ein Pakt der Straflosigkeit, die Flucht sei die natürliche Konsequenz gewesen. 8)

Auch der Gefängnisausbruch von „El Negro“ zu Beginn des Jahres wirft Fragen auf. Er ist der Sohn von „El Azul“, der nach „El Chapos“ dritter Festnahme 2016 und seiner anschließenden Auslieferung an die USA an die Spitze des Sinaloa Kartells rückte. „El Negro“ entkam nur zwei Monate nach seiner Festnahme. Obwohl er auf Mexikos „most wanted“-Liste steht, konnte er einem Hochsicherheitsgefängnis entgehen, indem er einfach vor Gericht Berufung einlegte. 7)

Auch in Topo Chico war Korruption unter den Wärtern weit verbreitet. Die Zetas konnten hier durch Erpressungen und Drogenhandel 800.000 Dollar pro Monat umsetzen. Genauso bestechlich waren die Wärter und der Direktor eines Gefängnisses im Norden Mexikos, die inhaftierte Zeta-Mitglieder zwischenzeitlich freiließen und sie mit Fahrzeugen und Waffen ausstatteten, damit sie Racheakte und Auftragsmorde begehen konnten, darunter auch ein Massaker, bei dem 17 Menschen getötet wurden. 2) 9)

Aber manchmal sind es auch die Wärter selbst, die die Häftlinge erpressen. Manche Insassen müssen zahlen, um Zugang zu Trinkwasser zu bekommen, duschen zu können oder einen Platz zum Schlafen zu erhalten. Da viele Häftlinge mittellos sind, sind es ihre Familien, die das Geld zahlen und somit noch stärker belastet werden, weil sie zumeist schon in prekären finanziellen Verhältnissen leben. Sie verarmen weiter, was wiederum die organisierte Kriminalität ankurbeln und stärken kann – ein wahrer Teufelskreis. 10)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. InSight Crime: In Mexico: A Kidnapping, a Negotiation, then an ‚Escape‘; Artikel vom 27.10.17
  2. InSight Crime: Crime Groups Control 65 Percent of State Prisons in Mexico: Report; Artikel vom 23.05.17
  3. InSight Crime: Deadly Riots Illustrates Mexico’s Prison Woes; Artikel vom 15.02.16
  4. InSight Crime: Mexico Prison Massacre Linked to Zetas Takeover Allegations; Artikel vom 11.10.17
  5. InSight Crime: Deadly Riot Illustrates Mexico’s Prison Woes; Artikel vom 15.02.16
  6. InSight Crime: Mexico Prison Party Video Illustrates Lack of Control in Penitentiaries; Artikel vom 10.05.17
  7. InSight Crime: Latest Jailbreak Points to Weakness of Mexico’s Prison System; Artikel vom 17.03.17
  8. Zeit Online: Ausbruch mit Ansage; Artikel vom 18.07.15
  9. The Guardian: Mexico prison ‚let inmates out to kill‘; Artikel vom 26.07.10
  10. InSight Crime: Mexico’s Prisoners Face Extortion Fees to Live: Report; Artikel vom 30.11.15

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