Zum Inhalt springen

Wie der US-Kongress und die Pharmaindustrie die Opioid-Epidemie befeuerten

Die Opioid-Epidemie sei die schlimmste Drogenkrise in der Geschichte der USA. Das gab US-Präsident Trump letzte Woche bekannt, gleichzeitig verhängte er den nationalen Gesundheitsnotstand. Täglich sterben viele Menschen an Überdosen, ausgelöst durch Heroin und vor allem opioidhaltige Schmerzmittel wie Fentanyl oder Oxycodon. Jeder dritte Amerikaner nimmt heute opioidhaltige Medikamente zu sich, drei Millionen sind von ihnen abhängig. Schmerzmittel fluten weiter das Land, oft landen sie auf dem Schwarzmarkt. Vorangetrieben wird das ganze durch ein mächtiges Bündnis aus Pharmalobbyisten und Politikern. Denn die Pharmaindustrie profitiert von der aktuellen Situation. Durch opioidhaltige Schmerzmittel setzt sie Jahr für Jahr Milliarden um. | Bild: © n.v.

Die Opioid-Epidemie sei die schlimmste Drogenkrise in der Geschichte der USA. Das gab US-Präsident Trump letzte Woche bekannt, gleichzeitig verhängte er den nationalen Gesundheitsnotstand. Täglich sterben viele Menschen an Überdosen, ausgelöst durch Heroin und vor allem opioidhaltige Schmerzmittel wie Fentanyl oder Oxycodon. Jeder dritte Amerikaner nimmt heute opioidhaltige Medikamente zu sich, drei Millionen sind von ihnen abhängig. Schmerzmittel fluten weiter das Land, oft landen sie auf dem Schwarzmarkt. Vorangetrieben wird das Ganze durch ein mächtiges Bündnis aus Pharmalobbyisten und Politikern. Denn die Pharmaindustrie profitiert von der aktuellen Situation. Durch opioidhaltige Schmerzmittel setzt sie Jahr für Jahr Milliarden um. 1) 2)

Wie eine gemeinsame Recherche der Washington Post und des investigativen TV Magazins 60 Minutes nun herausgefunden hat, sind sogar das Justizministerium und die Anti-Drogenbehörde DEA gegen sie machtlos, während einige Kongressmitglieder mit ihr zusammenarbeiten.

Im August 2016 beraubte der Kongress die DEA ihrer wichtigsten Waffe im Kampf gegen die Flut von Schmerzmitteln auf dem Schwarzmarkt. Einige Kongressmitglieder paktierten mit der Pharmalobby und brachten die DEA und das Justizministerium dazu, dem Ensuring Patient Access and Effective Drug Enforcement Act zuzustimmen, einem stark industriefreundlichen Gesetz. Zuvor hatte die DEA mit dem Controlled Substances Act von 1970 noch effektive Mittel, um Schmerzmittel vom Verkauf auf dem Schwarzmarkt und somit von der Straße fernzuhalten. Doch mit dem neuen Gesetz sind der DEA jetzt meistens die Hände gebunden. Die Pharmaindustrie hat gesiegt. 3) 4)

Die Schlüsselfigur für die Pharmaindustrie war der republikanische Abgeordnete Tom Marino aus Pennsylvania, der zusammen mit der Abgeordneten Marsha Blackburn das Gesetz durch den Kongress brachte. Insgesamt arbeiteten 23 Menschen an dem Gesetz und für sie allein gab die Pharmaindustrie 1,5 Millionen Dollar aus. Marino erhielt von ihr 100.000 Dollar an Spenden für seine Wahlkampagne, Blackburn bekam 120.000 Dollar. Zwischen 2013 und 2016 gab die Pharmaindustrie 102 Millionen Dollar für Lobbyarbeit aus, um dieses Gesetz durch den Kongress zu bringen. Doch was störte die Industrie am alten Gesetz?

Durch den Controlled Substances Act konnte die DEA Medikamentenlieferungen von Arzneimittelgroßhändlern an korrupte Ärzte oder Apotheker verhindern, die auf den Schwarzmarkt durchsickerten. Laut diesem Gesetz mussten die Großhändler die DEA über ungewöhnlich große oder verdächtige Medikamentenbestellungen informieren. Eine Bestellung war beispielsweise verdächtig, wenn eine Apotheke in einem Monat noch 10.000 Schmerzmittelpillen bestellte, im nächsten Monat dann aber 100.000. Obwohl die Großhändler jedes Mal genau wussten, wie groß die Bestellungen waren, klagten sie über die aus ihrer Sicht vage Formulierung des Gesetzes. Es sei nicht genau definiert, was verdächtig bedeute. Für die Großhändler war das Gesetz natürlich nachteilig, denn mit den Medikamentenlieferungen machen sie Milliarden. Ob die auf dem Schwarzmarkt landen, ist vielen von ihnen egal. 5) 4) 6)

Informierten die Großhändler die DEA nicht, was fast immer der Fall war, konnten sie mit einer Geldstrafe belegt werden. Laut dem alten Gesetz konnte die DEA außerdem solche verdächtigen Lieferungen abfangen und einfrieren, wenn sie eine „drohende Gefahr“ für die Bevölkerung darstellten. Mit dem neuen Gesetz hat sich das geändert. Jetzt muss die DEA beweisen, dass eine „unmittelbar bevorstehende Bedrohung“ für die Bevölkerung herrscht. Was nach keinem großen Unterschied klingt, bindet der DEA die Hände.

„Es gibt keine Möglichkeit das zu beweisen, denn „unmittelbar“ bedeutet: genau jetzt, in diesem Moment“, sagt Joe Rannazzisi, der früher die Abteilung der DEA leitete, die für die Regulierung der Pharmaunternehmen verantwortlich ist. Jahrelang ging er gegen die Großhändler vor, bevor er die Behörde 2015 resigniert verließ.

Die Pharmaindustrie wehrt sich gegen solche Vorwürfe und behauptet, das Gesetz diene lediglich dazu, dass Patienten ohne Unterbrechung ihre Medikamente bekommen können. Das mag schon stimmen, aber mit dem Gesetz wurde der DEA eben auch ihr wichtigstes Mittel genommen, um die vielen Lieferungen zu stoppen, die auf dem Schwarzmarkt enden. Der Richter John Mulrooney schreibt, jetzt sei es für die DEA „vollkommen unmöglich“, das Vorgehen der Pharmaindustrie zu unterbinden. Das Gesetz würde eine „dramatische Verringerung von Autorität“ bedeuten. 5) 4) 6)

Die Pharmaindustrie habe einen „nie dagewesenen Einfluss auf den Kongress“, sagt Rannazzisi. „Den Kongress auf dem Höhepunkt der Opioid-Epidemie dazu zu bringen ein Gesetz durchzubringen, das ihre Interessen schützt, zeigt mir, wie viel Einfluss sie haben.“

Rannazzisi kennt die Pharmaindustrie gut, er war lange Zeit ihr Hauptfeind. Als er noch bei der DEA angestellt war, setzte er ihr empfindlich zu. Auch die Großen der Branche, wie Cardinal Health, McKesson oder AmerisourceBergen blieben nicht verschont. Rannazzisi arbeitete damals mit dem Anwalt D. Linden Barber zusammen. Gemeinsam nahmen sie den Kampf gegen spezielle Kliniken auf, wo Süchtige sich ihre Schmerzmittel illegal besorgen konnten. „Das waren keine Crackdealer an der Straßenecke. Das waren Profis. Drogendealer in Laborkitteln“, erzählt Rannazzisi.

Mit Barber konnte er einige Erfolge feiern, doch dann wechselte dieser die Seiten. Er wurde von der Pharmaindustrie angeheuert, wo er umfassende Insiderinformationen mitbrachte. Ein bewährtes Vorgehen: Seit dem Jahr 2000 wechselten 56 Mitarbeiter der DEA oder des Justizministeriums in die Pharmaindustrie. Barber jedenfalls spielte bei den ersten Entwürfen des neuen Gesetzes eine Schlüsselrolle. Ein Mitarbeiter des Justizministeriums schrieb, er habe „das Marino-Gesetz geschrieben“. 5) 4)

Rannazzisi brachte das hingegen nicht von seiner Mission ab. Weiterhin ging er kompromisslos gegen die Pharmaindustrie vor, lange Zeit konnte ihn nichts davon abbringen. Ab 2013 änderte sich die Situation dann aber für ihn, seine Vorgesetzten bremsten ihn aus. 2014 fing auch der Kongress an, sich für seine Arbeit zu interessieren. Man wolle verstehen, wieso er gegen eine neue Gesetzgebung sei.

Eine Telefonkonferenz brachte Rannazzisi dann zu Fall. Kongressmitarbeiter sagten ihm, mit einem neuen Gesetz wolle man doch nur „eine bessere Beziehung zwischen der Pharmaindustrie und der DEA aufbauen“. Rannazzisi soll erwidert haben, damit werde der Kongress „Kriminelle schützen“. Viele Kongressmitglieder waren erbost, Tom Marino beschuldigte ihn, den „Kongress der Vereinigten Staaten einschüchtern zu wollen“. Der Kongress wies den Generalinspekteur des Justizministeriums dazu an, Ermittlungen aufzunehmen. 5) 4)

Diese führten zu nichts, dennoch trat Rannazzisi unter ihrem Druck zurück. Die Pharmaindustrie war ihren größten Wiedersacher losgeworden. Im gleichen Jahr traten auch die Leiterin der DEA Michele Leonhart, die Rannazzisis Kurs unterstützt hatte, und der Justizminister zurück. Dieser Personalwechsel spielte der Pharmaindustrie enorm in die Hände. Neuer Leiter der DEA wurde Chuck Rosenberg, der zum Ziel hatte, mit der Pharmaindustrie zusammenzuarbeiten und die Beziehungen zu ihr zu verbessern. Am Ende stimmte die DEA dem Gesetz dann zu.

Als Whistleblower für die Washington Post und 60 Minutes konnte Rannazzsi nationale Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Er arbeitet jetzt als Berater für eine Gruppe von Anwälten, die gerichtlich gegen die Pharmaindustrie vorgeht. Er will weitermachen.  „Das ist eine Industrie, die außer Kontrolle ist. Wenn sie die Gesetze für die Verschreibung von Medikamenten nicht befolgen, sterben Menschen. Und was sie sagen, ist: Zum Teufel mit euren Regeln. Wir ändern einfach das Gesetz“. 5) 4)

Tom Marino war derweil ursprünglich von Donald Trump als neuer „Drogenzar“ vorgesehen, also als Leiter der US-Behörde, die für die Drogenpolitik zuständig ist. Unter dem Druck der Öffentlichkeit nach den Enthüllungen zog er seine Bewerbung jedoch zurück. 7)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Zeit Online: Trump verhängt nationalen Gesundheitsnotstand; Artikel vom 27.10.17
  2. Deutschlandfunk: Die betäubte Nation; Artikel vom 24.10.17
  3. Washington Post: The drug industry’s triumph over the DEA; Artikel vom 15.10.17
  4. CBS News: Ex-DEA agent: Opioid crisis fueled by drug industry and Congress; Artikel vom 15.10.17
  5. Washington Post: The drug industry’s triumph over the DEA; Artikel vom 15.10.17
  6. NPR: Washington Post, 60 Minutes Investigation Finds Bill Helped Fuel Opioid Crisis; Artikel vom 15.10.17
  7. New York Times: Tom Marino, Drug Czar Nominee, Withdraws in Latest Setback for Trump’s Opioid Fight; Artikel vom 17.10.17

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert