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Ob versteckt unter tropischen Früchten oder in Paketen mit Schokoladenpulver, auf hoher See oder am Flughafen – im südamerikanischen Land sorgen immer wieder teils spektakuläre Kokainfunde für Aufsehen. Dabei wird in Ecuador selbst kaum Koka angebaut. Der Andenstaat ist vielmehr ein wichtiges Transitland für Kokainlieferungen aus den benachbarten Hauptproduzenten des Rauschgifts, Kolumbien und Peru, in Richtung USA und Europa. | Bild: © n.v.

Ecuador leidet unter seiner Rolle als Drogentransitstaat

Ob versteckt unter tropischen Früchten oder in Paketen mit Schokoladenpulver, auf hoher See oder am Flughafen – im südamerikanischen Land sorgen immer wieder teils spektakuläre Kokainfunde für Aufsehen. Dabei wird in Ecuador selbst kaum Koka angebaut. Der Andenstaat ist vielmehr ein wichtiges Transitland für Kokainlieferungen aus den benachbarten Hauptproduzenten des Rauschgifts, Kolumbien und Peru, in Richtung USA und Europa. | Bild: © n.v.

Dem bayerischen LKA ist vor einigen Wochen der wohl spektakulärste Ermittlungserfolg seiner Geschichte gelungen. Die Behörde konnte ein Drogennetzwerk zerschlagen, das über Monate hinweg insgesamt fast zwei Tonnen Kokain nach Deutschland geschmuggelt hatte. Verborgen in Bananenkisten wurde das Rauchgift von Südamerika aus nach Hamburg verschifft und anschließend per LKW in mehrere Reifungshallen im ganzen Land gebracht. Um das jeweils in Ein-Kilogramm-Pakete verpackte weiße Pulver wieder einzusammeln, brachen von Juli 2017 bis April mehrmals bewaffnete Männer in neun dieser Hallen ein. Letztes Jahr im September langten sie allerdings daneben. In zehn bayerischen Rewe-Märkten zwischen Kiefersfelden und Passau stießen die Angestellten beim Auspacken der morgendlichen Bananenlieferung auf 200 Kilogramm Kokain. Das LKA nahm zusammen mit dem Zollfahndungsamt München und der Staatsanwaltschaft Landshut die Ermittlungen auf und begann, die Spur der Bananenkisten zu verfolgen. Sie führte sie nach Ecuador.1

Ob versteckt unter tropischen Früchten oder in Paketen mit Schokoladenpulver, auf hoher See oder am Flughafen – im südamerikanischen Land sorgen immer wieder teils spektakuläre Kokainfunde für Aufsehen. Dabei wird in Ecuador selbst kaum Koka angebaut. Der Andenstaat ist vielmehr ein wichtiges Transitland für Kokainlieferungen aus den benachbarten Hauptproduzenten des Rauschgifts, Kolumbien und Peru, in Richtung USA und Europa.23

Besonders mit kolumbianischem Kokain wird Ecuador seit einigen Jahren geradezu überschwemmt. Im Nachbarland hat seit 2012 die Produktion des Rauschgifts deutlich zugenommen. Neuesten Erkenntnissen der USA zufolge wurden letztes Jahr in Kolumbien 921 Tonnen des weißen Pulvers hergestellt, ein neuer Rekord. Das Weiße Haus schätzt zudem, dass auf einer Gesamtfläche von 209.000 Hektar Koka angebaut wurde, ebenfalls ein neuer Spitzenwert. Ecuador bekommt die Auswirkungen des kolumbianischen Kokain-Booms deutlich zu spüren. Waren große Rauschgiftfunde im Andenstaat früher noch recht selten, sorgen sie mittlerweile in regelmäßigem Abstand für Schlagzeilen. Die Menge des beschlagnahmten Kokains nimmt dabei Jahr für Jahr zu: 2015 konnten ecuadorianische Sicherheitskräfte 59 Tonnen des weißen Pulvers sicherstellen, ein Jahr später war es bereits knapp das Doppelte.43

Speziell eine ecuadorianische Stadt hat sich im Laufe der Zeit zu einem Schlüsselkorridor für Kokainlieferungen auf dem Weg nach Europa entwickelt: Guayaquil. Hier konnten letztes Jahr 13,5 Tonnen des Rauschgifts von den Behörden sichergestellt werden. Vom Hafen in der 2,5 Millionen Einwohner-Metropole aus wird vor allem Kokain aus den Anbaugebieten in den südlichen kolumbianischen Departamentos Nariño, Putumayo und Cáquetá auf die andere Seite des Atlantiks verschifft.5

Auch wenn Ecuador mit einer im regionalen Vergleich sehr geringen Mordrate von 5,8 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohnern als eines der sichersten Länder Lateinamerikas gilt, hat der Kokainschmuggel doch schwerwiegende Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Lage im Andenstaat. Vor allem an der Grenze zu Kolumbien nehmen die Spannungen seit einigen Monaten immer weiter zu.6

Im Nachbarland ist nach dem Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC, die früher der mächtigste Akteur im kolumbianischen Kokainhandel war, ein gefährliches Machtvakuum entstanden. Eine Vielzahl von Akteuren, darunter die ELN und die EPL, kriminelle Gruppen wie die Urabeños sowie dissidente FARC-Gruppierungen, die das Friedensabkommen ablehnen und ihre Waffen nicht niedergelegt haben, ringen nun um die Nachfolge der Guerilla und die Vormachtstellung im Geschäft mit dem weißen Pulver. Und der Kampf um das Erbe der FARC weitet sich immer mehr auf Ecuador aus.7

Der Norden Ecuadors leidet besonders unter der Nähe zum Nachbarland. Jenseits der Grenze liegt das kolumbianische Departamento Nariño, einem der Hauptproduktionszentren für Kokain im Land. 2016 wurde hier laut dem UNODC auf einer Fläche von 42.627 Hektar Koka angebaut, ein Spitzenwert im nationalen Vergleich. Allein im Gebiet der Kommune Tumaco befinden sich mehr als 23.000 Hektar an Kokafeldern, mehr als in jeder anderen kolumbianischen Gemeinde. Durch die ecuadorianischen Provinzen Esmeraldas, Carchis und Sucumbios verlaufen mehrere wichtige Schmuggelrouten, auf denen das Kokain von Nariño aus nach Guayaquil gebracht wird.89

Weil mehrere kriminelle Gruppen um die Vorherrschaft über diese Routen kämpfen, hat sich die Sicherheitslage an der ecuadorianisch-kolumbianischen Grenze in den letzten Monaten massiv verschärft, die Gewalt steigt an. Dafür verantwortlich ist vor allem die Olíver Sinisterra Front um den FARC-Dissidenten Walter Patricio Artízala Vernaza, alias „Guacho“, die laut Colombia Reports den Großteil des Kokainhandels in der Region kontrolliert. Die Gruppe operiert wohl von Tumaco aus, ist aber auf beiden Seiten der Grenze aktiv. Ecuadorianischen Medienberichten zufolge hat „Guacho“ Allianzen mit mexikanischen Drogenkartellen geschlossen, die die FARC-Dissidenten im Gegenzug finanzieren. Angaben über die Anzahl ehemaliger FARC-Kämpfer, die der Gruppe angehören, variieren aber. Das ecuadorianische Militär geht aktuell von 70-80 Guerilleros aus, Kolumbiens Generalstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez hingegen schätzte Mitte März ihre Zahl auf etwa 300. Sicher ist, dass Nariño das kolumbianische Departamento ist, das am meisten mit Dissidenten der FARC zu kämpfen hat. Laut der Stiftung Ideen für den Frieden (Fundacion Ideas Para la Paz – FIP) hält sich hier knapp die Hälfte der insgesamt etwa 1.200 Guerilleros auf, die ihre Waffen nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der Regierung nicht abgegeben haben.10 (( Colombia Reports: Who are leading the FARC dissident groups and where; Artikel vom 03.03.18 ))111213

Die Entführung und Ermordung von fünf Ecuadorianern – drei Mitarbeiter der ecuadorianischen Tageszeitung El Comercio – der Reporter Javier Ortega, der Fotograf Paúl Rivas und ihr Fahrer Efraín Segarra – und ein junges Paar – der 24-jährige Oscar Villacís und die 20-jährige Katty Velasco – durch die Olíver Sinisterra Front im März und April sorgte im Andenstaat für Entsetzen und einen Aufschrei. Die ecuadorianische Regierung gab bekannt, sie würde nicht ruhen, bis man die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen habe.141516

Ecuador und Kolumbien haben eine gemeinsame Sicherheitsoperation eingeleitet, 2.000 Soldaten sind jetzt in Nariño stationiert. Die Sicherheitskräfte kommen „Guacho“ wohl immer näher. Sein Bruder konnte ebenso wie die Nummer zwei der Olíver Sinisterra Front, Jefferson Chávez Toro, alias „Cachi“, mittlerweile gefasst werden. Zudem haben die Behörden laut El Telégrafo die Identitäten von 20 weiteren FARC-Dissidenten, die der Gruppe angehören, ermittelt. Doch „Guacho“ selbst, der in beiden Ländern auf der Liste der meistgesuchten Personen weit oben steht, haben sie bislang noch nicht gefunden.171218

Auch der Drogenfluss von Kolumbien nach Ecuador konnte durch die zunehmende Militarisierung der Grenzregion nicht gestoppt werden. Die grenznahe Stadt Esmeraldas, zuvor ein wichtiges Drehkreuz für den Kokainschmuggel, wird von kriminellen Gruppen mittlerweile gemieden. Das Rauschgift wird jetzt in den Provinzen im Landesinneren zwischengelagert und von dort aus in LKWs oder Bussen nach Guayaquil gebracht. Ein Sicherheitsbeamter gab gegenüber El Comercio an: „Die Gangs kennen die Routen, die kaum überwacht werden. Wenn sie erst genug Kokain in den Provinzen im Landesinneren angesammelt haben, senden sie es nach und nach zu Warenlagern und Werkhallen in Guayaquil. Wenn die Ware bereit ist, verschiffen sie sie außer Landes.“19

  1. Bayerisches Landeskriminalamt: Fast eine Tonne Kokain sichergestellt und zahlreiche Tatverdächtige festgenommen; Artikel vom 16.05.18 []
  2. Stol.it: Kokain in Ecuador beschlagnahmt: nicht mehr verfügbar; Artikel vom 14.02.18 []
  3. InSight Crime: Huge Ecuador Cocaine Seizures Signal Growing Role in Drug Trade; 10.05.17 [] []
  4. InSight Crime: Colombia Coca Production Hits New Record High, US Figures Say; Artikel vom 26.06.18 []
  5. InSight Crime: European Cocaine Seizures Hint at New Possibilities for Colombia Traffickers; Artikel vom 19.01.18 []
  6. InSight Crime: InSight Crime’s 2017 Homicide Round-Up; Artikel vom 19.01.18 []
  7. InSight Crime: Colombia’s Peace Agreement With the FARC Survives First Year; Artikel vom 24.11.17 []
  8. UNODC: Colombia: Survey of territories affected by illicit crops – 2016; veröffentlicht im August 2017 []
  9. The Economist: Colombia’s two anti-coca strategies are at war with each other; Artikel vom 20.02.18 []
  10. CNN en Español: ¿Qué pasa en la frontera entre Colombia y Ecuador?; veröffentlicht am 18.04.18 []
  11. Deutsche Welle: Ecuador: Zwei Minister treten wegen Krise an der Grenze zurück; Artikel vom 28.04.18 []
  12. InSight Crime: Ex-FARC Mafia Boss Had Cocaine Network, Mexico Ties; Artikel vom 16.03.18 [] []
  13. Colombia Reports: ‚Guacho‘, a public enemy in both Colombia and Ecuador; Artikel vom 18.04.18 []
  14. Amerika 21: Ecuador: Drei Journalisten an Grenze zu Kolumbien entführt; Artikel vom 01.04.18 []
  15. Deutsche Welle: Ecuadorianisches Reporterteam von Rebellen ermordet; Artikel vom 13.04.18 []
  16. BBC: Kidnapped Ecuadorian couple ‚killed two months ago‘; Artikel vom 05.07.18 []
  17. InSight Crime: (( InSight Crime: Ecuador Zeroes In on Powerful FARC Dissident as Others Lurk in Shadows; Artikel vom 21.06.18 []
  18. Colombia Reports: Six dissident FARC killed in southwest Colombia; Artikel vom 05.06.18 []
  19. InSight Crime: More Cocaine Leaving Ecuador Shows Flaws in Anti-Drug Strategies; Artikel vom 06.07.18 []

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