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Kolumbien: Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ELN und EPL in Catatumbo sorgen für Klima der Angst

Kokain Kolumbien

| Bild: © (c) Pkripper503 - Dreamstime

Der Friedensvertrag, den die kolumbianische Regierung 2016 mit der FARC geschlossen hat, hat bislang nicht bewirkt, dass überall im Andenstaat auch wirklich Frieden eingekehrt ist. Nirgendwo wird dies momentan so deutlich wie in Catatumbo, einer aus elf Kommunen bestehenden Region, die Teil des nordwestlich gelegenen kolumbianischen Departamentos Norte de Santander ist. Seit Mitte März sorgen hier bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den letzten beiden größeren Guerillas des Landes, der ELN und der EPL, für steigende Gewalt. Auf beiden Seiten sollen Angaben der ELN zufolge mehr als 100 Kämpfer umgekommen sein. Besonders die Zivilbevölkerung leidet unter den Auswirkungen des blutigen Konflikts. 1) 2)

Tausende Bauern suchen seit Wochen immer wieder vorübergehend Zuflucht in Notunterkünften, Dutzende Menschen sind bereits aus Catatumbo geflohen. Es gibt Berichte über zweitweise Entführungen von Zivilisten und medizinischem Personal der Vereinten Nationen. Ein bewaffneter Streik der EPL brachte vor Kurzem das öffentliche Leben vollständig zum Erliegen. Geschäfte und Schulen müssen oft für mehrere Stunden geschlossen werden. 3) 1) 2)

Die Krise in Catatumbo hatte sich über Monate hinweg zusammengebraut und hängt eng mit der im Friedensvertrag beschlossenen Demobilisierung der FARC in der Region zusammen. Die Guerilla war früher der mächtigste Akteur im kolumbianischen Kokainhandel und konnte sich durch den massenhaften Kokaanbau in den von ihr besetzten Gebieten jahrzehntelang finanzieren. Doch als die FARC-Guerilleros nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens ihre Waffen niederlegten und die von ihnen kontrollierten Territorien verließen, entstand ein Machtvakuum – so auch in Catatumbo. Kolumbianische Sicherheitskräfte vermuten, dass ELN und EPL nun um die Nachfolge der FARC und die Vormachtstellung im Geschäft mit dem weißen Pulver in der Region kämpfen. 1) 2)

Zumal Catatumbo zu den Hotspots des kolumbianischen Kokaanbaus zählt. UNODC-Angaben zufolge wurden dort 2016 auf einer Gesamtfläche von 24.587 Hektar Kokasträucher angepflanzt, bezogen auf die Größe der Region einer der höchsten Werte im nationalen Vergleich und mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor. Laut InSight Crime bietet sich Catatumbo zudem wegen seiner Lage an der Grenze zu Venezuela und der dadurch gegebenen Nähe zu wichtigen Schmuggelrouten besonders als Standort für die Kokainproduktion an. Die EPL soll der ELN zufolge darüber hinaus mit den Urabeños und dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammenarbeiten, um von der Region ausgehend einen neuen Drogenkorridor zu errichten. 1) 2)

Stiftungen gehen davon aus, dass sowohl die EPL als auch die ELN in Catatumbo letztes Jahr mehr als 150 Jugendliche und junge Erwachsene rekrutiert haben. „Man verführt sie mit Waffen, Geld und Motorrädern“, sagte ein Beamter aus der Kommune El Tarra. Der frühere ELN-Kommandant Gabriel Quintero Prado gab gegenüber InSight Crime an, dass es gerade die jungen Guerilleros sein könnten, die zum Gewaltanstieg in Catatumbo beitragen. „Das Problem ist, dass sie unerfahren sind. Sie sind schießwütig und außer Kontrolle geraten.“ 1) 2)

Hinzu kommt, dass Catatumbo eines der ärmsten und von der Regierung am stärksten vernachlässigten Gebiete Kolumbiens ist. Die Region verfügt nicht einmal über grundlegende Infrastruktur, der Staat hat dort kaum Präsenz. Fatal ist, dass es die Regierung versäumt hat, das Vakuum zu füllen, das die FARC-Guerilleros nach ihrem Abzug aus dem Gebiet hinterlassen haben. Das sieht auch Christian Visnes, Leiter der Kolumbien-Sparte des Norwegian Refugee Council so: „Wen sich die FARC demobilisieren, ordnen sich die bewaffneten Akteure in der Gegend neu, weil der Staat leider nicht aktiv wird und für Ordnung sorgt (…).“ Es sei offenkundig, dass sich die ELN und die EPL nicht geeinigt hätten, wer wo und über was die Kontrolle ausüben dürfe. Das führe zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und gefährde die Zivilbevölkerung. 1) 2)

Die Regierung hat jetzt zwar 12.000 Soldaten nach Catatumbo entsandt. Die allerdings bekommen die Region nicht unter Kontrolle. Viele Einwohner empfinden sie mehr als Gefahr denn als Hilfe. Rafael Jaimes, der Präsident des Norte de Santander-Zweigs des Ständigen Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte (Comité Permanente por la Defensa de los Derechos Humanos – CPDH) sagte gegenüber Verdad Abierta, dass „in Zeiten wie diesen“ die Präsenz der Sicherheitskräfte alles nur noch gefährlicher machen würde. „Wir sind besorgt, dass das Gebiet noch stärker militarisiert wird (…).“ 2) 3)

Die EPL war vor ihrer Expansion in Folge der FARC-Demobilisierung entlang der kolumbianisch-venezolanischen Grenze nicht besonders aktiv, ihre Präsenz in der Region konzentrierte sich vor allem auf die etwa 100 Kilometer weiter westlich gelegenen Gemeinden Hacarí, la Playa und Ábrego. Doch mittlerweile hat die Guerilla in Catatumbo mehrere Kommunen unter ihre Kontrolle gebracht. Für die Einwohner hat das schwerwiegende Folgen. Unter anderem in der Gemeinde Filo de Gringo, patrouillieren jetzt maskierte und bewaffnete EPL-Milizen auf den Straßen. Sie sollen sicherstellen, dass die von der Guerilla auferlegten Regeln und Gesetze von der Zivilbevölkerung befolgt werden. 1) 2)

Ein Sozialarbeiter in Filo de Gringo sagte InSight Crime, dass die Milizen versuchen würden, all jene, die für den kolumbianischen Staat arbeiten, aus der Kommune zu vertreiben, um die Autorität der EPL durchzusetzen. „Sie befahlen mir zu verschwinden, ansonsten würden sie mich umbringen. Es ist ihnen egal, dass ich hier mit Kindern arbeite. Sie sehen mich als den Feind.“ Das Terrorregime der EPL-Milizen sorgt in der Bevölkerung für ein Klima der Angst. Ausgangssperren werden verhängt, die Versammlungsfreiheit wurde eingeschränkt, Diebe und Drogenkonsumenten werden umgebracht. 1)

In El Tarra terrorisierte ein Milizionär bis zu seiner Verhaftung im April auch nachts die Menschen. „Er brach mitten in der Nacht in unsere Häuser ein“, sagte eine Einwohnerin InSight Crime. „Sie gaben uns Anstrichfarben und befahlen uns, außen auf unseren Wänden ‚EPL‘ aufzumalen. Sie sagten, dass sie uns umbringen würden, falls wir uns weigern sollten.“ Auch öffentliche Gebäude sind vor der Guerilla nicht sicher. „Die Schulen geraten ins Kreuzfeuer. Lehrer können ihre Schüler nicht beschützen“, sagte der Beamte aus El Tarra. „In Filo de Gringo ist die EPL manchmal in Klassenzimmer gegangen und hat den Unterricht übernommen.“ 1)

Wer sich gegen die Guerilla erhebt, an dem übt sie brutal Vergeltung. Im südwestlich von Filo de Gringo gelegenen San Calixto wurde Nelly Amaya, ein Mitglied des Kleinbauernverbands von Catatumbo (Asociación Campesina del Catatumbo – ASCAMCAT), erschossen, weil sie die Anweisung der EPL missachtete, Sicherheitskräften kein Essen zu verkaufen. Sie war die erste von mehreren Aktivisten, die in der Region seit der Demobilisierung der FARC umgebracht wurden. 1) 2)

Verdad Abierta schreibt, dass es nun wie bereits in der Vergangenheit wieder den Gemeinden, Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen zufalle, für Deeskalation zu sorgen, obwohl gerade sie von den bewaffneten Konflikten und den Auswirkungen schwacher Institutionen am stärksten betroffen seien. Juan Carlos Quintero, Vizepräsident von ASCAMCAT, sagte, dass es seit dem Beginn der Konfrontation zwischen ELN und EPL in Catatumbo in jeder Gemeinde eine starke soziale Mobilisierung gegeben habe. Die Menschen in der Region seien mit dem Krieg nicht einverstanden. 2)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. InSight Crime: EPL Urban Militia Sows Fear in Colombia-Venezuela Border Communities; Artikel vom 25.06.18
  2. InSight Crime: The New War in Colombia’s Catatumbo; Artikel vom 05.04.18
  3. Arte: Kolumbien: Der Krieg in Catatumbo; veröffentlicht am 28.05.18

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