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Für bangladeschische Gangs ist es ein leichtes, in den Flüchtlingscamps Rohingya als Drogenkuriere anzuwerben. Die Flüchtlinge sind arm und meist mittellos, sie leben in teils jämmerlichen Verhältnissen. Für viele ist der Yaba-Schmuggel der einzige Weg, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern. | Bild: © n.v.

Mittellose Rohingya-Flüchlinge müssen in Bangladesch als Drogenkuriere arbeiten

Für bangladeschische Gangs ist es ein leichtes, in den Flüchtlingscamps Rohingya als Drogenkuriere anzuwerben. Die Flüchtlinge sind arm und meist mittellos, sie leben in teils jämmerlichen Verhältnissen. Für viele ist der Yaba-Schmuggel der einzige Weg, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern. | Bild: © n.v.

„Die Möglichkeit erwischt zu werden, ist weitaus weniger gravierend, als meine Familie hier leiden oder sterben zu lassen“, sagt Sahara Khatun, die eigentlich anders heißt, im Gespräch mit Roads & Kingdoms. Die Droge, die sie schmuggelt, ist hochgradig illegal, deshalb möchte Kathun, als sie vom Journalisten Matthew Bremner befragt wird, lieber anonym bleiben. Sie arbeitet für eine kriminelle Gruppe, die im Geschäft mit Yaba aktiv ist – kleine, bunte Tabletten, die aus einer Mischung aus Methamphetamin und Koffein bestehen. Kathun ist eine Rohingya, die in Bangladesch, genauer in Kutupalong, dem derzeit größten Flüchtlingslager der Welt, lebt.123

Seit 1978 haben etwa 1,3 Millionen Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya ihr Heimatland, den mehrheitlich buddhistischen Vielvölkerstaat Myanmar, verlassen und im benachbarten Bangladesch Schutz gesucht. Sie fliehen vor Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt. Von der myanmarischen Regierung unterdrückt werden sie vor allem wegen der ungelösten Frage um ihre ursprüngliche Herkunft. Die Rohingya sehen sich als Nachfahren einer ethnischen Gruppe, die schon immer im Gebiet der myanmarischen Provinz Rakhaing-Staat gelebt hat. Die Regierung wiederum behauptet, sie seien illegale Einwanderer aus Bangladesch. Tatsächlich ist erwiesen, dass schon im 8. Jahrhundert Muslime in der Region um Rakhaing zusammen mit Buddhisten lebten. Andererseits kamen während der britischen Kolonialherrschaft über die Region im 19. Jahrhundert zahlreiche muslimische Gastarbeiter aus dem heutigen Bangladesch ins heutige Myanmar. Von Einwanderern zu sprechen, ist hier jedoch irreführend, da die Gastarbeiter nicht von einem Land ins andere, sondern von einer Provinz eines Reichs, dem ehemaligen Britisch-Indien, in eine andere wanderten. Die Grundlagen des Konflikts stammen jedoch aus dieser Zeit. Als die Scharen an Gastarbeitern ankamen, fühlten sich viele der in Rakhaing lebenden Buddhisten vor einer Überfremdung bedroht. Dieses Gefühl hält bis heute an, sodass dem vielerorts ein fremdenfeindliches Reinheitsdenken und Ultranationalismus entgegengesetzt wird.456

Seit 1982 erhält die myanmarische Staatsangehörigkeit nur, wer zu einer der Ethnien gehört, die schon vor der britischen Kolonialherrschaft im Land anwesend war. Nach Ansicht der Regierung trifft das auf die Rohingya nicht zu. Als faktisch Staatenlose werden sie alltäglich in ihren Grund- und Menschenrechten verletzt und systematisch ausgegrenzt. Rohingya dürfen maximal zwei Kinder bekommen, sich nicht frei im Land bewegen und haben eingeschränkten Zugang zu Land, Fischgebieten, Krediten und Arbeitsstellen.567

Der letzte Massenexodus wurde im August 2017 durch Angriffe der ARSA, einer aus etwa 200 Rohingya bestehenden militanten Gruppe mit Verbindungen nach Saudi-Arabien und Pakistan, auf mehrere Grenzposten der myanmarischen Armee, in dessen Zuge etwa zwölf Polizisten getötet wurden, ausgelöst. Das Militär antwortete mit einem großflächigen Gegenschlag, welcher sich über die mutmaßlichen Angreifer hinaus seither auch in massivem Maße gegen die Zivilbevölkerung richtet. Über 720.000 Rohingya sind laut dem UNHCR seit August nach Bangladesch geflohen, es handele sich um die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise weltweit. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch werfen der myanmarischen Regierung und der Armee eine zielgerichtete und systematische Gewaltkampagne mit dem Ziel der ethnischen Säuberung vor.8910711

In Bangladesch kommen die Rohingya in riesigen Flüchtlingslagern wie Kutupalong unter, doch auch hier ist die Lage angespannt. Die meisten Flüchtlinge leben in notdürftigen Behausungen unter Plastikplanen. Die Camps sind überfüllt, die hygienischen Zustände teilweise katastrophal. Verschmutztes Wasser und ein Mangel an Toiletten haben dazu geführt, dass Cholera und Diphterie ausgebrochen sind. Vor allem aber ist die Angst vor dem Monsun mit seinen tropischen Wirbelstürmen groß. Noch ist der große Regen zwar ausgeblieben, aber die Gefahr besteht weiter, dass heftige Niederschläge in den nächsten Wochen die Unterkünfte wegschwemmen und unter Schlamm begraben.3112

Eine Perspektive bietet sich den Rohingya in Bangladesch nicht. Offiziell ist es ihnen nicht gestattet, die von Sicherheitskräften bewachten Flüchtlingscamps zu verlassen. Sie haben keine Möglichkeit, im Land, das sie aufgenommen hat, legal zu arbeiten und etwas Geld zu verdienen.131415

Diese Aussichtslosigkeit machen sich zahlreiche bangladeschische Drogengangs zunutze, die in den Handel mit und den Verkauf von Yaba involviert sind. Denn das Geschäft mit den bunten Tabletten boomt im südasiatischen Land bereits seit einigen Jahren. Mitte der 2000er drängte Yaba dort erstmals auf den Markt, damals noch als Droge für die Reichen. Heute findet man es praktisch an jeder Straßenecke. Für Bangladesch hat sich Yaba längst zu einem riesigen Problem entwickelt. Etwa sechs Millionen, zumeist junge Menschen, sollen von der Droge abhängig sein. Die nationale Suchstoffkontrollbehörde DNC schätzt, dass bis zu zwei Millionen Tabletten täglich konsumiert werden.121617

Für bangladeschische Gangs ist es ein leichtes, in den Flüchtlingscamps Rohingya als Drogenkuriere anzuwerben. Die Flüchtlinge sind arm und meist mittellos, sie leben in teils jämmerlichen Verhältnissen. Für viele ist der Yaba-Schmuggel der einzige Weg, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern. Auch für Sahara Khatun, die in den 1990ern nach Bangladesch kam. Zu Beginn lebte sie noch von NGO-Hilfsleistungen und kleinen Gelegenheitsjobs, die ihr Mann zusammenkratzte. Doch als er starb, blieb ihr nichts. Dann wurde sie von einem Drogenhändler angesprochen. Er fragte, ob sie daran interessiert sei, Yaba zu schmuggeln.181

Zu Roads and Kingdoms sagt Khatun, dass sie die Risiken kenne.  Sie habe jedoch fünf Kinder zu ernähren und ansonsten sei da niemand, der sich um sie kümmern könnte. „Die Möglichkeit erwischt zu werden, ist weitaus weniger gravierend, als meine Familie hier leiden oder sterben zu lassen.“ Sie sagt, dass sie ihren Lieferanten immer am gleichen Ort trifft, in einem Waldstück nahe ihrer Unterkunft in Kutupalong. Sie nimmt das Yaba entgegen und bringt es, mehrere Kontrollpunkte der Polizei passierend, ins etwa 30 Kilometer entfernte Cox’s Bazar.1

Auch die 30-jährige Rohingya Munira, die eigentlich anders heißt und im Gespräch mit der Webseite Firstpost aus Indien ebenfalls anonym bleiben will, hat früher als Drogenkurierin gearbeitet. „Mein Mann ist im Gefängnis, ich habe drei Kinder und keine Einkommensquelle.“ Zuvor arbeitete sie in einer vom UNHCR für Rohingya-Flüchtlinge betriebenen Einrichtung in Kutupalong und stellte für 2.300 Taka (etwa 24 Euro) im Monat Seife her. Doch für eine vierköpfige Familie reichte das nicht aus. „Ich habe von meinen Freunden gehört, dass man viel mehr verdienen kann, wenn man Drogen schmuggelt“, sagt sie zu Firstpost. Sie holte das Yaba im etwa 25 Minuten von Kutupalong entfernten Flüchtlingslager Palungkhali ab und brachte die Tabletten nach Cox’s Bazar. Munira sagt, dass sie für jeden Drogentransport vom Camp in die Stadt 1.500 Taka erhielt. Mit zwei Lieferungen verdiente sie mehr, als in einem ganzen Monat in der Seifenfabrik.15

Doch nicht nur innerhalb von Bangladesch nutzen die Drogengangs Rohingya-Flüchtlinge als Drogenkuriere. Denn Myanmar spielt im Yaba-Handel eine zentrale Rolle, das Land ist der Hauptproduzent der Tabletten. Als Teil des sogenannten Goldenen Dreiecks war es eigentlich immer für seine Opium- und Heroinproduktion berüchtigt. Auch heute noch wird in Myanmar auf einer Gesamtfläche von etwa 40.000 Hektar Schlafmohn angebaut. Doch bereits Ende der 1990er Jahre stiegen zahlreiche Drogengangs und bewaffnete Gruppen ethnischer Minderheiten, die für mehr Autonomie und Selbstbestimmung gegen die myanmarische Zentralregierung und Armee kämpfen und sich häufig mit dem Drogenhandel finanzieren, auf Yaba um. Der Opium- und Heroinhandel war wegen Drogenbekämpfungsmaßnahmen auf internationaler Ebene zunehmend mit steigenden Kosten und Risiken verbunden. Die Produktion von Methamphetamin-Tabletten hingegen wurde ungleich attraktiver. Die Herstellung von Yaba ist relativ einfach und mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen und kann auch nicht an schlechten Schlafmohnernten scheitern.2192021

Zu Beginn schmuggelten die Drogengangs und bewaffneten Gruppen das Yaba vor allem nach China und Thailand. Doch als die Grenzen zwischen den drei Ländern vor ein paar Jahren zunehmend verstärkt wurden, litt auch der Handel mit den Meth-Tabletten darunter.  Also rückte Bangladesch mit seinen porösen Grenzen und belebten Häfen in den Fokus. Und das Land entpuppte sich als erstklassiger Absatzmarkt.22221

Bangladesch grenzt auf einer Länge von etwa 250 Kilometern an den Rakhaing-Staat, lediglich getrennt durch einen Fluss. Laut dem Leiter der DNC, Jamaluddin Ahmed, werden die einfachsten und effektivsten Wege, den Naf zu überqueren, von Drogengangs und Schleppern kontrolliert. Zahlreichen Rohingya, die aus Myanmar fliehen und ins Nachbarland gelangen wollen, bleibt deshalb oft gar nichts anderes übrig als im Gegenzug für eine sichere Überfahrt Yaba nach Bangladesch zu schmuggeln.14 1

Auch der 30-jährige Mamun hat früher Rohingya-Flüchtlinge Yaba über die myanmarisch-bangladeschische Grenze schmuggeln lassen. Zu Roads and Kingdoms sagt er, dass er die letzten sechs Jahre lang in Teknaf, einem Landkreis im Distrikt Cox’s Bazar, mit Drogen gehandelt hat. Momentan allerdings hält er sich in NONGOR, einem gemeinnützigen Therapiezentrum für Yabaabhängige auf. Mamun ist süchtig, er hat früher über 100 Tabletten am Tag konsumiert.1

Er erzählt, dass ein Onkel, der im Rakhaing-Staat lebt, ihm angeboten habe, mit dem Yaba-Handel Geld zu machen. Alles was er zu tun habe, sei die Drogen an der Grenze einzusammeln, sie nach Cox’s Bazar zu schmuggeln und dort an bangladeschische Abnehmer weiterzuverkaufen. Die Flucht hunderttausender Rohingya aus Myanmar spielte ihm in die Hände. Mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen, vermehrte sich auch die Zahl potentieller Drogenkuriere. „Die Rohingya zu benutzen war günstiger und mit weniger Risiken verbunden. Es war für die Behörden um einiges schwerer, den Drogenschmuggel zu mir zurückzuführen“, sagt Mamun. Die Vorgehensweise war immer die gleiche. Mamun und seine Leute begaben sich an die Grenze und nahmen das Yaba von Rohingya-Flüchtlingen entgegen, die die Tabletten in ihren Habseligkeiten versteckt hatten.1

In Bangladesch stellen mittlerweile einige Beobachter eine Verbindung zwischen dem steigenden Yaba-Konsum im Land und dem Massenexodus der Rohingya her und verweisen auf die Entwicklung der Menge der von Sicherheitskräften beschlagnahmten Drogen in den letzten Jahren. 2008 konnten 36.543 Tabletten sichergestellt werden, drei Jahre später waren es bereits 1,4 Millionen. 2017 wurden dann knapp 40 Millionen Tabletten beschlagnahmt, allein im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um fast 25 Prozent. Auch DNC-Leiter Ahmed gibt an, dass mit der Flucht hunderttausender Rohingya aus Myanmar der bangladeschische Markt mit Yaba überschwemmt wurde. Die Flüchtlinge an sich hätten damit aber wenig bis gar nichts zu tun. „Man kann die Rohingya für dieses Problem nicht verantwortlich machen, sie sind die Opfer der Umstände.“22014

  1. Roads & Kingdoms: The Unwilling Smugglers; Artikel vom 05.04.18 [] [] [] [] [] [] [] []
  2. CNN: Yaba addiction: The dark side of Bangladesh’s increasing affluence; Artikel vom 06.08.17 [] [] [] [] []
  3. Spiegel Online: Angst vor dem Regen; veröffentlicht am 06.07.18 [] []
  4. Wikipedia: Rohingya people; Stand 13.07.18 []
  5. The Economist: The most persecuted people on earth?; Artikel vom 13.07.15 [] []
  6. Zeit Online: Und jetzt, wohin?; Artikel vom 13.09.17 [] []
  7. Verfassungsblog: Die Verfolgung der Rohingya in Myanmar – ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof?; Artikel vom 10.02.18 [] []
  8. BBC: Myanmar: What sparked the latest violence in Rakhine?; Artikel vom 19.09.17 []
  9. Washington Post: The ‚ethnic cleansing‘ of the Rohingya; Artikel vom 18.09.17 []
  10. The Guardian: Myanmar: footage reveals scorched-earth campaign against Rohingya; Artikel vom 14.09.17 []
  11. UNHCR: Rohingya emergency; Stand 13.07.18 []
  12. The Guardian: ‚Lives will be lost‘: Bangladesh rains promise further misery for Rohingya; Artikel vom 01.03.18 []
  13. The Diplomat: Yaba: The Red Pills and the Rohingya; Artikel vom 04.06.18 []
  14. Nikkei Asian Review: Bangladesh drugs gangs exploit Rohingya refugees; Artikel vom 05.05.18 [] [] []
  15. Firstpost: Destitute Rohingya refugees turn to drug trade; fuel influx of illegal substances into Bangladesh; Artikel vom 24.04.18 [] []
  16. The Telegraph: Bangladesh accused of using drugs war to hide political assassinations; Artikel vom 01.06.18 []
  17. Deutschlandfunk: Jeder Befragte scheint zu wissen, wo es die Pillen gibt; Artikel vom 21.07.17 []
  18. DNA India: Rohingya refugees falling into drug net; Artikel vom 21.04.18 []
  19. UN News: Myanmar: opium cultivation down 25 per cent, but conflict areas remain ’safe haven‘ for drug traders; Artikel vom 06.12.17 []
  20. The Daily Star: Yaba invasion -1: hostage to Myanmar; Artikel vom 12.05.18 [] []
  21. Nikkei Asian Review: Inside Bangladesh’s methamphetamine problem; Artikel vom 23.07.17 [] []
  22. The Fix: Meth addiction in Bangladesh; Artikel vom 24.10.17 []

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