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Die Transitlage im asiatischen Drogenhandel wird dem indischen Punjab zum Verhängnis

Will man spontan die Grenze von Pakistan nach Indien überqueren, sieht man sich vor ein Problem gestellt. Grund ist ein gigantischer Zaun, welchen es unmöglich scheint zu passieren – ist er doch 553 Kilometer lang und seit kurzem unter Strom gestellt. Regelmäßig patroulieren Wachmannschaften entlang des Bollwerks. Wenn der amerikanische Präsident ein Vorbild für seine Grenzplanungen suchen sollte – hier könnte er es finden. Der Grund für die angespannte Grenzsituation hat zwei Hauptaspekte. Zum einen liegt die strenge Trennung in der ideologisch-historischen Feindschaft beider Länder begründet – und man will keine politisch motivierten Aggressoren ins Land lassen. Zum anderen sieht sich Indien einer noch größeren Gefahr gegenüber, welche eine ganze Region zu zersetzen droht. Gemeint ist die wachsende Drogenproblematik im Land. Insbesondere in der Grenzregion Punjab, wird die Transit- und Konsumrolle Indiens im asiatischen Drogenhandel deutlich sichtbar. Die Zahl der Drogenabhängigen liegt hier bei 230,000 – umgerechnet vier Mal mehr als der Weltdurchschnitt. Der Kampf gegen das rapide steigende Konsumverhalten wurde in der Vergangenheit nur unzureichend geführt. Deshalb ist Punjab heute ganz im Griff der Sucht – die täglichen Drogentoten unterstreichen das. | Bild: © n.v.

Will man spontan die Grenze von Pakistan nach Indien überqueren, sieht man sich vor ein Problem gestellt. Grund ist ein gigantischer Zaun, welchen es unmöglich scheint zu passieren – ist er doch 553 Kilometer lang und seit kurzem unter Strom gestellt. Regelmäßig patroulieren Wachmannschaften  entlang des Bollwerks. Wenn der amerikanische Präsident ein Vorbild für seine Grenzplanungen suchen sollte – hier könnte er es finden. Der Grund für die angespannte Grenzsituation hat zwei Hauptaspekte. Zum einen liegt die strenge Trennung in der ideologisch-historischen Feindschaft beider Länder begründet – und man will keine politisch motivierten Aggressoren ins Land lassen. Zum anderen sieht sich Indien einer noch größeren Gefahr gegenüber, welche eine ganze Region zu zersetzen droht. Gemeint ist die wachsende Drogenproblematik im Land. Insbesondere in der Grenzregion Punjab, wird die Transit- und Konsumrolle Indiens im asiatischen Drogenhandel deutlich sichtbar. Die Zahl der Drogenabhängigen liegt hier bei 230,000 – umgerechnet vier Mal mehr als der Weltdurchschnitt. Der Kampf gegen das rapide steigende Konsumverhalten wurde in der Vergangenheit nur unzureichend geführt. Deshalb ist Punjab heute ganz im Griff der Sucht – die täglichen Drogentoten unterstreichen das. 1) 2)

Doch warum wird grade dort so viel konsumiert? Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass die Zahl der Konsumenten aus ärmeren Schichten recht hoch ist. Doch auch immer mehr Jugendliche aus reicheren Familien machen es ihren Landsleuten nach. So sind die Gründe für den Konsum nicht nur durch Arbeitslosigkeit zu erklären. Neben dieser ist es besonders Perspektivlosigkeit, Gruppenzwang oder schlicht Langeweile, die den Wunsch nach Zerstreuung fördert – und das Mittel dafür gibt es in Punjab in Hülle und Fülle. Denn die Produktionsgebiete der ersehnten Substanzen liegen gleich nebenan. Vom Opiumbauern und Drogenlabor in Afghanistan ist es über Pakistan nur ein Katzensprung bis nach Punjab. Die Preise sind ebenfalls gering. In Grenznähe wird man von den Schmugglern oftmals sogar beschenkt – die Konsumenten von heute sind für sie die Dealer von morgen. Wenn sich diese Theorie wirklich bewahrheitet, steht Indien vor einem gewaltigen Problem. Denn von der Jugend in Punjab sind bereits 70 Prozent den Drogen verfallen. 3) 4)

Ein Betroffener aus der vorherigen Generation Drogenkranker ist der dreißigjährige Mintu Gursaria. Er fing als Sportler schon im Kindesalter mit dem Konsum an – genauso wie ein Großteil seiner Freunde. Nun ist er nach 18 Jahren Abhängigkeit der letzte von ihnen. Es sind 40 Drogenschicksale, von denen Mintu erzählen kann – und 40 Beispiele wie die Sucht in den Tod führt. Darunter fällt auch die Geschichte seiner Familie. Vater und Brüder sind nicht mehr am Leben – nur noch die Mutter. Diese putzte damals das Drogenbesteck für mehrere Generationen. Wie so oft bleiben in den betroffenen Gebieten nur noch die Frauen übrig. Mintu hatte Glück. Ein Unfall hinderte ihn daran, sich neue Suchtmittel zu verschaffen – so entkam er der Todesspirale. Damals waren vor allem Heroin und Opium im Land gefragt. Heute sind es synthetische Drogen und eine noch tödlichere Modedroge. Das altbewährte Heroin wird dabei mit der Substanz „cut“ vermischt. Nebenbei ist die HIV Infektion unter Konsumenten ebenfalls weit verbreitet. Dies sind Faktoren, die dazu geführt haben, dass die monatlichen Todeszahlen immer weiter ansteigen. Allein im Juni 2018 wurden 30 davon offiziell erfasst. 5) 6) 1)

Ein Kampf gegen diese Entwicklung scheint aussichtslos zu sein. Um das zu verstehen, muss man einen Blick auf die lokalen Drogennetzwerke werfen. Diese bestehen aus mafiösen grenzüberschreitenden Gruppierungen, welche auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen können. Selbst Teile der lokalen Politik sollen darin verwickelt sein. Parteien verschenkten bei Wahlveranstaltungen manchmal sogar selbst Drogen. Dass Korruption und Bestechung auch den Polizeiapparat zersetzt haben, kommt verstärkend noch hinzu. Auch wurden die Süchtigen bis vor Kurzem noch gesellschaftlich geächtet – waren sie doch eher Schuldige als Opfer. Ihnen wurde zu lange die Hilfe verweigert – eine Therapie konnten sich nur die wenigsten leisten. Bis 2012 gab es in ganz Punjab nur eine öffentliche Entzugsklinik mit 50 Betten. Die Verfehlungen der Vergangenheit wiedergutzumachen, stellt heute eine große Herausforderung dar.  Denn den Nachschub an Suchtmitteln kann selbst der gigantische Grenzzaun nicht unterbinden. Die erfahrenen Schmuggler haben längst sichere Tunnelsysteme gegraben, verstecken ihre Ware in Autos, oder durchwaten einfach die ungesicherten Flüsse. 4) 1) 2)

Das Thema war den indischen Behörden lange Zeit zu heikel – deshalb wurde es eher totgeschwiegen, als offen angesprochen. Jetzt – da der Sachverhalt auch international diskutiert wird – hat man sich entschlossen zu handeln. Einer neu aufgestellten Taskforce ist es zwar gelungen 1400 Händler festzunehmen, nur blieben dabei jegliche Führungspersonen der Schmugglernetzwerke unangetastet. Nun soll laut dem Staatsminister von Punjab jeder gefasste Drogenschmuggler mit dem Tod bestraft werden – dies würde den Konflikt jedoch nur noch mehr verschlimmern. Da die Regierung zusehends versagt, treten in letzter Zeit vermehrt Aktivisten in die Öffentlichkeit. Ihre Kampagnen tragen Namen wie „either die or protest“ und finden Unterstützung bei Prominenten und internationalen Organisationen. Trotzdem sind sie alleine leider zu schwach. Eine wirkliche Milderung des Drogenproblems kann nur eine weitreichende staatliche Kampagne gegen die Abhängigkeit bringen. Diese müsste einhergehen mit einem besseren Grenzmanagement durch internationale Zusammenarbeit und der Schulung von medizinischem Fachpersonal. Wenn nicht gehandelt wird, könnte Punjab zum nächten Schauplatz eines blutigen Drogenkrieges werden. Militärische Gewalt ist dabei absolut der falsche Ansatz – sonst riskiert man Verhältnisse wie auf den Philippinen. Dort kostet der radikale Kurs der Regierung monatlich hunderte Menschenleben. 5) 6) 2) 7)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. tribuneindia: Punjab’s deadly war on drugs; Artikel vom 04.07.2018
  2. gatewayhouse: Punjab’s unshakable drug smuggling networks; Artikel vom 18.04.2018
  3. srf: An der Handelsroute von Opium und Heroin; Artikel vom 26.06.2013
  4. nzz: Die verlorene Generation des Punjabs; Artikel vom 31.12.2012
  5. telegraph: Drugs crisis in Indian state ‚more deadly than 15 years of conflict‘; Artikel vom 09.07.2018
  6. sbs: Punjab government recommends death penalty for drug smugglers; Artikel vom 03.07.2018
  7. zeit: Im Rausch der Selbstjustiz; Artikel vom 03.08.2016

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