Europas Kokainnachfrage destabilisiert Algerien

Ende Mai dieses Jahres entdeckten algerische Behörden rund 700 Kilogramm Kokain, das in einem Fleischcontainer auf einem Handelsschiff im Hafen von Oran, im Westen Algeriens, versteckt war. Sie schätzen dessen finanziellen Wert auf 42 bis 70 Millionen Dollar. Das Schiff hatte gefrorenes Fleisch von Brasilien über Barcelona und Valencia nach Algerien transportiert. Dieser Fund war neben 165 Kilogramm, die 2012 mit importiertem Milchpulver geschmuggelt wurden, die größte Menge beschlagnahmten Kokains im nordafrikanischen Land.12

Dass Algerien ein wichtiger Transitstaat für das Vertreiben des im Nachbarland Marokko angebauten Cannabis ist, ist seit Längerem bekannt. Neu ist, dass er auch am Handel des südamerikanischen Kokains beteiligt ist. Oran ist, als wichtiger Hafen in der Nähe von Marokko, zur Drehscheibe von Drogenhandel und Geldwäsche in Algerien geworden. Während das nordafrikanische Land selbst einen sehr kleinen inländischen Drogenmarkt hat, machen die strategische Lage und die korrupten Zollagenten es zu einem attraktiven Transitpunkt für Rauschmittel in Richtung Europa und des Nahen Ostens. Im Zuge aktueller Ermittlungen kommen immer mehr Fälle von Korruption der algerischen Elite zum Vorschein.1

Drogenhändler in Algerien wissen ihre politischen Verbindungen zu nutzen, um einer Festnahme gegebenenfalls zu entgehen und auch, um ihre Geschäfte auszuweiten. Korruption bis in die höchste Ebene ist weit verbreitet. Nach dem Korruptionsindex von Transparency International belegt Algerien den 108. Platz. Mehrere mächtige Drogenhändler wie der „Pablo Escobar von Oran“, Ahmed Zendjabil, die das Geschäft in den 1990er und 2000er Jahren dominierten, agierten aufgrund ihrer bemerkenswerten Verbindungen zu politischen Eliten des Landes weitgehend straflos. Um sie zu entmachten, waren zahlreiche internationale Haftbefehle und die Entlassung mehrerer Militärs sowie lokaler Regierungsbeamter nötig. Sie alle waren auch in den Drogenhandel involviert.13

In Folge des Kokainfundes vom Mai, im Rahmen einer der größten Operationen der algerischen Geschichte, kam es zu einer polizeilichen Untersuchung. Diese hat nun Kamel Chikhi, einen einflussreichen algerischen Immobilienmogul, als Anführer eines Drogenhandelsnetzwerks identifiziert, das Kokain von Brasilien über die Häfen von Spanien an Algeriens langer Mittelmeerküste verteilt. Dass dieser alleine, ohne behördliche oder politische Unterstützung gehandelt hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Der Rekordfund von 700 Kilogramm weist auf ein wachsendes Netzwerk hin, das Südamerika über Algerien mit Europa verbindet. Laut Beobachtern wird Oran dabei zu einem wichtigen Drehkreuz. Neben den Seewegen bieten Algeriens durchlässige Grenzen günstige Bedingungen für alle Arten des Handels von Drogen – einschließlich Cannabis und Kokain.14

Die Beschlagnahmung deckte nun zumindest teilweise das Ausmaß der Korruption algerischer Beamter auf. Vier Richter, darunter zwei Generalstaatsanwälte, sind bisher suspendiert worden, nachdem ihnen in diesem Fall Bestechung gerichtlich nachgewiesen werden konnte. Auch weitere hohe Beamte wie der Generalmajor der Gendarmerie werden nun vor Gericht gestellt. Zu den Verdächtigen gehören zudem Geschäftsleute, die der regimetreuen RND-Partei nahestehen, Sicherheitsbeamte, Bürgermeister sowie der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Abdelmajid Tebboune – sie alle stehen in Verbindung mit dem Hauptangeklagten Chikhi. Auch der Leiter des algerischen Nationalen Sicherheitsdienstes wurde entlassen und durch den Leiter der Katastrophenschutzdirektion ersetzt, sodass die Ermittlungen fortgesetzt werden können. Die Regierung selbst schwieg lange darüber, dass hochrangige Regierungsbeamte am Schmuggel von 700 Kilogramm Kokain beteiligt waren. Justizminister Tayeb Louh drohte sogar mit rechtlichen Schritten gegen Medien, die behaupten, dass Richter Bestechungsgelder erhielten und ihre Position ausnutzten. Nun aber sagte auch er gegenüber Journalisten, dass die Staatsanwaltschaft die Verhaftung von 12 Verdächtigen angeordnet habe.45

In Algerien werden dieser und ähnliche Fälle immer heftiger diskutiert; in der Presse ist von Algerien als „Cocainegate“ die Rede.4 Die vielen Fälle von Korruption in Zusammenhang mit Drogenhandel werden auch für die im nächsten Jahr anstehende Präsidentschaftswahl eine Rolle spielen. Solange die Nachfrage nach Kokain in Europa besteht, werden algerische Drogenhändler Wege finden, dieses auch dorthin zu schmuggeln. Dadurch werden korrupte Strukturen unterstützt und das Land weiter politisch destabilisiert. Doch gerade in der nordafrikanischen Region wären verlässliche Partnerstaaten von großer Bedeutung für Europa.

  1. Worldcrunch: Algeria Cocaine Bust Reveals New Global Hub In Narcotics Network; Artikel vom 22.06.2018 [] [] [] []
  2. Echorouk: Awesome Figures About Cocaine Smuggling Trade In Algeria; Artikel vom 30.05.2018 []
  3. Transparency International: Korruptionsindizes; Aufgerufen am 27.09.2018 []
  4. The North Africa Post: Algeria’s Cocainegate Continues to Uncover Corrupt Officials; Artikel vom 15.09.2018 [] [] []
  5. Asharq al-Awsat: Cocaine Scandal Rocks Algeria’s Government; Artikel vom 26.06.2018 []

Über Mirjam / earthlink

Da die Kluft zwischen Arm und Reich - nicht nur in Deutschland, sondern auch zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern - immer größer wird und vielfältige Konsequenzen mit sich trägt, studiere ich Politikwissenschaft und Soziologie und versuche nun auch praktisch bei earthlink etwas Positives zu bewirken.
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