Jährlich strömen Millionen pilgernde Muslime aus aller Welt nach Saudi Arabien. Ihr Ziel sind die Metropolen und religiösen Zentren Mekka und Medina. Unter den Einreisenden befinden sich jedoch auch immer wieder Personen, welche nur unter dem Schein einer Pilgerfahrt ihren Geschäften im Land nachgehen wollen – ihre gewinnbringenden Waren bestehen aus illegalen Suchtmitteln. Im streng konservativ regierten Saudi Arabien ist das natürlich aufs Strengste verboten – wer als Schmuggler erwischt wird, muss mit der Todesstrafe rechnen. So sind allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres 50 Menschen enthauptet worden. Dennoch nimmt sowohl der Handel als auch der Konsum unter den Saudis immer weiter zu, was vor allem an der geostrategischen Lage des Landes zwischen den afghanischen, jemenitischen und syrischen Produktionsstätten liegt. Längst sind nicht nur die ärmeren Bevölkerungsschichten vom Drogenkonsum betroffen. Dass auch der Adel tief in den Drogenhandel involviert ist und trotzdem meist unbescholten davon kommt, beweist die Paradoxie des saudi-arabischen Rechtssystems.12
Obwohl in Saudi Arabien die radikalen Regeln der Scharia gelten und die Ausrichtung nach den religiösen Geboten ein erfülltes Leben bringen sollte, ist die Liste der Gründe für den Missbrauch von Suchtmitteln lang. Nicht nur Arbeitslosigkeit und Langeweile spielen eine große Rolle – insbesondere das Umfeld, Stresssituationen, Depressionen und Versagensängste sind gesellschaftsübergreifend wichtige Auslöser für den Griff nach der Droge. So zählen auch immer mehr Frauen zu den Kunden der Dealer. Um die wachsende Nachfrage zu befriedigen, reisen zahlreiche Schmuggler aus dem Jemen, Ägypten, Pakistan, Syrien und Äthiopien zu den lokalen Absatzmärkten – und die Polizei ist überfordert. Dabei haben sie neben Millionen von Captagonpillen, insbesondere Heroin, Haschisch und Khat im Angebot. Schätzungsweise können durch den florierenden Markt jährlich 10.000 neue Kunden dazugewonnen werden. Wie viele Saudis insgesamt als abhängig bezeichnet werden können, ist unklar – die offizielle Zahl von 200.000 ist mit Sicherheit zu niedrig angesetzt.13
Zu den raffinierten Methoden der Schmuggler gehört das Verstecken ihrer Ware in Autoreifen, Erdnusstüten, Cola-Dosen, Shisha-Schläuchen oder Kleidern – was jedoch keinen reibungslosen Grenzübergang garantiert. Wer als Händler aufgeflogen ist und in die Hände der Polizei gelangt, hat meist keine Chance davonzukommen. Ein angemessener Justizweg mit dem Recht auf einen Anwalt bleibt den meisten verschlossen – dafür steht ihnen eine barbarische Exekution durch Enthauptung mittels Schwert bevor. Welche Hintergründe und Schicksale die Gefangenen haben, spielt in den fünf Minuten dauernden Gerichtsverhandlungen keine Rolle. Laut dem seit 1987 gültigen Recht der Scharia können Kriminelle folglich für Verkauf, Handel Lieferung und Transport der illegalen Substanzen aufs Schafott geführt werden – seit 2014 wurde diese Praxis bereits in 600 Fällen ausgeführt. Dabei verstößt die Verurteilung zum Tod, als radikalstes Strafmaß in nichtgewaltsamen Kriminalfällen, eigentlich gegen internationales Menschenrecht. Trotzdem prallen alle internationalen Kritiken an Saudi Arabien ab, welches stolz ist, die von Gott gegebenen Gesetze methodisch umgesetzt zu haben.45
Trotz der radikalen Vorgehensweise in der Drogenpolitik ist eine Gruppe immun. Die Rede ist von den saudischen Prinzen, unter denen sich einige offen dem Drogenmissbrauch hingeben. Ein Mitglied der Adelsfamile wurde vor dem Rückflug in sein Heimatland mit 40 Koffern voller Kokain erwischt – insgesamt ein Gewicht von 2 Tonnen. Ausschweifende Drogen- und Sexpartys, welche bei einigen jungen Prinzen keine Seltenheit sind, haben der Monarchie international bereits peinliche Aufmerksamkeit beschert. Offen wird auf diesen Veranstaltungen Kokain und Heroin konsumiert. Dass diese jedoch kaum Konsequenzen zu fürchten haben, da sie über dem Gesetz zu stehen scheinen, beweist die Inkonsequenz und Unaufrichtigkeit des saudischen Rechtssystems – sterben doch wöchentlich Drogenschmuggler für geringere Vergehen.64
Auch für Abhängige ist das Leben in der saudi-arabischen Gesellschaft schwer, denn das Thema war lange tabu. Noch heute gibt es kaum staatliche Drogenkliniken, in welchen Betroffene auf ein suchtfreies Leben vorbereitet werden könnten. Bisher stellt der Staat 300 Millionen Euro für Therapieeinrichtungen zur Verfügung – die Kosten für den einzelnen Patienten liegen mit 100.000 bis 200.000 Euro jedoch sehr hoch. Es konnten zwar mehr als 75.000 Patienten behandelt werden, doch leider liegt die Rückfallquote bei ca. 70 Prozent. Da der Drogenkonsum unter der weiblichen Bevölkerung als schändlich stigmatisiert ist, trauen sich betroffene Frauen oft nicht, sich zu outen und nehmen die Hilfsangebote nicht wahr. Andere haben Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und meiden deshalb den Arzt. Wer als Drogenabhängiger ohne saudi-arabische Staatsbürgerschaft aufgegriffen wurde, wird, statt in eine Hilfseinrichtung, gleich ins Ausland abgeschoben – eine Gleichberechtigung findet nicht statt.735
Das arabische Land versucht seit einiger Zeit sein Image hinsichtlich der Menschenrechte zu modernisieren. Wenn das Vorhaben wirklich ernst gemeint ist, muss unbedingt auf die massenhafte Exekution von Kriminellen verzichtet werden. Dass es staatliche Hilfeeinrichtungen für Drogenabhängige gibt, ist ein wichtiger Schritt – dennoch muss bei einer Behandlung der Abhängigen und der Bekämpfung des Handels der Fokus auf die individuellen Hintergründe der Betroffenen viel mehr beachtet werden. Gleichberechtigung aller gesellschaftlichen Akteure, ob Prinz, Geschäftsmann, Arbeitsloser, Frau oder Migrant, muss bei der Behandlung selbstverständlich sein.4
- nazaraliev: Why does the number of drug addicts grow in the Saudi Arabia?; Artikel vom 10.09.2015 [↩] [↩]
- france24: Saudi Arabia executes 48 in 2018, half on drug charges; Artikel vom 26.04.2018 [↩]
- zeit: Junkies, die es nicht geben darf; Artikel vom 20.09.2014 [↩] [↩]
- albawaba: Saudi Arabia is Still Killing People for Drug Offenses While Letting Royals Off; Artikel vom 30.04.2018 [↩] [↩] [↩]
- faz: Flucht in die Sucht; Artikel vom 14.06.2015 [↩] [↩]
- salon: Saudi Arabia executes people over drugs while its princes are caught with tons of drugs at the airport; Artikel vom 27.10.2015 [↩]
- handelsblatt: Die Sucht, die es nicht geben darf; Artikel vom 22.09.2014 [↩]