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Tödliches Gift – wie das Fischsterben mit Kokainnebenprodukten und -rückständen zusammenhängt

Dass der Anbau und Konsum illegaler Drogen die menschliche Gesellschaft vor enorme Herausforderungen sowohl im globalen als auch im lokalen Zusammenleben stellt, ist offensichtlich. Weit weniger augenscheinlich ist, dass auch die Tierwelt unter den Auswirkungen dieser Strukturen zu leiden hat. Dabei sollte dies nicht überraschen. „Kokain ist die am häufigsten gefundene illegale Droge im Oberflächenwasser“, schreibt Anna Capaldo, Biologin an der Universität Neapel Federico II und Leiterin einer im Juni dieses Jahres veröffentlichten Studie, welche die Effekte von Kokainrückständen im Wasser auf europäische Aale untersucht. Tatsächlich sind Aale nämlich besonders gefährdet, da sie die Giftstoffe aufgrund ihres hohen Fettanteils extrem gut aufnehmen. 1) 2)

Zwischen 0,4 und 44 Nanogramm pro Liter Wasser schwankt die durchschnittliche Kokainkonzentration in den Gewässern der Umwelt. Ausgeschieden über den menschlichen Urin, gelangen die Kleinstteile über das Abwassersystem schließlich in die Flüsse. Besonders betroffen dabei sind die Gewässer in der Nähe von Großstädten. Eine Studie von 2009 hat für Brüssel sogar einen Wert von 753 Nanogramm Kokain pro Liter gemessen! Kurioser- oder vielleicht sogar bezeichnenderweise erreichte die Kokainkonzentration in der Themse in London in unmittelbarer Nähe der „Houses of Parliament“ einen Höchstwert. 2015 wurde die britische Hauptstadt sogar als Stadt mit dem größten Kokaingehalt im Abwassersystem geführt. In deutschen Städten wurden zudem vermehrt Rückstände von MDMA (auch bekannt als Ecstasy) gemessen. Letztlich zeigten die Daten, „dass sowohl illegale Drogen als auch ihre Abbauprodukte in beträchtlichem Maße in oberirdischen Gewässern auf der ganzen Welt vorhanden sind“, so Capaldo. 3) 4) 5)

Kernstück der Studie ist ein Versuch, in dem 150 Aale in verschiedene Gruppen aufgeteilt wurden, wobei eine Gruppe für 50 Tage in einem Wasserbecken einer Kokainkonzentration von 20 Nanogramm pro Liter – also einer Konzentration, wie sie durchschnittlich in den europäischen Gewässern vorherrscht – ausgesetzt war, während die Kontrollgruppe sauberes Wasser zur Verfügung hatte. Als Zwischenfazit nach diesen 50 Tagen hielten die Wissenschaftler fest, dass sich die durch die Kokainrückstände belasteten Aale zwar hyperaktiv verhielten, jedoch ansonsten ebenso gesund zu sein schienen wie ihre drogenfreien Artgenossen. Erst als die Biologen die Körper näher untersuchten, stießen sie auf weitere gravierende Symptome. 3) 6)

Neben der Beeinträchtigung der Kiemen kam es auch zu einer Verdickung des Darms sowie zu einem Anschwellen der Muskelzellen. Faserrisse und Muskelschwund waren die Folge. Dadurch, dass zudem die Menge ihres Hautschleims absank, wurden die Tiere anfälliger für Parasiten. Auch hormonelle Veränderungen mussten die Forscher konstatieren: So wiesen die Aale zum einen einen erhöhten Cortisolspiegel auf, standen also unter Stress. Zum anderen stieg auch das Dopaminlevel derart signifikant an, dass davon ausgegangen werden muss, dass eventuell sogar die Ausbildung der Geschlechtsreife wenn nicht verhindert, so doch beeinträchtigt wird. „Alle körperlichen Hauptfunktionen dieser Tiere könnten verändert werden“, resümiert Capaldo. 3) 2)

Der Wildbestand der Aale ist aufgrund der die Wanderrouten blockierenden Dämme sowie der Überfischung ohnehin bereits vom Aussterben bedroht. Betrachtet man nun den komplexen Lebenszyklus der schlangenförmigen Fische, so wird deutlich, dass die Belastung der Gewässer durch Drogenrückstände die Lage noch zusätzlich verschärft. Geboren im Ozean lassen sich die Aale danach in europäischen Frisch- und Brackwasserwegen nieder, wo sie 15 bis 20 Jahre bleiben. Zum Ende ihres Lebens machen sie sich zu einer 6000 Kilometer langen Reise durch den Atlantik auf. Während ihres letzten großen Abenteuers schwimmen sie ein bis anderthalb Jahre, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, gegen den Golfstrom an, um schließlich in der Sargassosee östlich der Karibik zu landen, wo sie sich mit ihren letzten Kraftreserven paaren, laichen und schließlich sterben. Nach dem Schlüpfen driften und schwimmen die Larven nach Europa zurück und der Kreislauf beginnt von Neuem. So sollte es zumindest sein, doch dadurch, dass die Tiere zuvor durch die Kokainrückstände geschwächt wurden, überstehen einige von ihnen die Reise nicht, so dass der Kreislauf unterbrochen wird. Eine Gefährdung des Überlebens dieser Spezies ist die Folge. 7) 8)

Wie können wir diesem Problem begegnen? Ein Drogenrückgang in den europäischen Großstädten ist derzeit nicht zu erwarten. Gut jedenfalls ist, dass Capaldos Studie ein Problembewusstsein diesbezüglich erzeugt hat, so dass künftig möglicherweise mehr in verbesserte Technologien zur Abwasserreinigung investiert wird. Auch Daniel Snow, Direktor des Wasserwirtschaftslabors der Universität von Nebraska, setzt auf diese Karte: „Im Grunde kann man alles [Wasser] auf jeden gewünschten Reinheitsgrad bringen. Es hängt nur davon ab, wie viel Geld man in den Aufbereitungsprozess stecken will.“ 9)

Eine andere Facette der schädlichen Wirkungen des Kokains auf die Umwelt können wir beobachten, wenn wir unseren Blick auf die Entwicklungsländer richten. Dadurch dass die Koka- und Kokainproduktion in den ökologisch sehr wertvollen Regionen der Anden und des Amazonas stattfindet, ist hier die Gefahr der Umweltzerstörung besonders hoch: Neben der Regenwaldabholzung und der Erosion der Böden ist eben auch die Kontamination der Abwassersysteme und des Wassers eine Folge des Kokainherstellungsprozesses. Mehr als 370.000 Tonnen an Chemikalien scheiden die Kokainhersteller jährlich in die Umwelt aus; und mehr als 20 Millionen Liter an Giften werden von den geheimen Kokainlaboren im Dschungel in die Wasserwege geleitet! Die Eradikationen – Sprühflüge mit toxischen Substanzen wie Glyphosat über den Kokaanbaugebieten – tun ihr übriges. Als Ergebnis dessen, so stellen Geraldo Santana und Shirleen Chin Sing Joo in einer Studie für das „European Union Action to Fight Environmental Crime“ fest, sind die betroffenen Wasserwege fast gänzlich ihrer Wasserpflanzen und Tiere beraubt. Hinsichtlich des Ursprungs wiederum wurde herausgefunden, dass die meisten der im Kokainherstellungsprozess verwendeten chemischen Substanzen aus der EU kommen. Der beobachtete Rückgang der Biodiversität, so Santana und Joo, ist eng verknüpft mit der Verbreitung von Drogenmärkten, Jahrzenten von militärischen Konflikten und dem Mangel an ökonomischen Alternativen. Unter dem Strich ist zudem festzuhalten, dass die Einheimischen, die früher von den großen Fischen in den Flüssen lebten, nun keine Fische mehr finden, die groß genug wären, um sie zu essen – weder für den Eigenbedarf noch für den Betrieb einer Fischerei. Insofern wäre es zu wünschen, dass die Verschmutzung der Gewässer – sei es in Europa oder in den Entwicklungsländern – möglichst eingedämmt wird, nicht nur zum Wohle der Tiere, sondern auch zum Wohle der Menschen. 10) 11)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Tonight.de: Drogen im Abwasser. Aale haben ein Kokain-Problem; Artikel vom 26.6.2018
  2. Tierwelt.ch: Kokain im Wasser macht Aale high; Artikel vom 29.6.2018
  3. The Guardian: Cocaine in rivers harming endangered eels, study finds; Artikel vom 21.6.2018
  4. NCBI: Illicit drugs, a novel group of environmental contaminants; Artikel vom 21.9.2007
  5. Spectrum.de: Aale auf Kokain leiden; Artikel vom 22.6.2018
  6. Science of the Total Environment: Effects of the environmental cocaine concentrations on the skeletal muscle of the European eel (Anguilla anguilla); Artikel vom 1.11.2018
  7. Stern: Aale sind vom Aussterben bedroht – nun haben sie noch ein Kokain-Problem; Artikel vom 29.6.2018
  8. RT Deutsch: Studie. Kokain in britischen Flüssen beeinträchtigt Sex-Leben von Aalen; Artikel vom 22.6.2018
  9. National Geographic: Kokain in Flüssen wird Fischen zum Verhängnis; Artikel vom 21.6.2018
  10. European Union Action to Fight Environmental Crime: Can cocaine production in Colombia be linked to environmental crime?; Veröffentlichung von 1.2015
  11. Druglibrary.org: Coca and Colombian Environment (COLCOCA Case); Stand: 8.11.2018

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