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Bürgerwehren und Selbstjustiz

Die Selbstverteidigungsgruppen der unterdrückten mexikanischen Bevölkerung

(c) Photogeniamexiko | Dreamstime
(c) Photogeniamexiko | Dreamstime

Jahrzehntelang schon hat Mexiko mit einem enormen Drogenproblem im Land zu kämpfen. Seitdem der damalige Präsident Felipe Calderón 2006 offiziell den Drogenkrieg ausrief, kämpfen nun zehntausende Soldaten und Polizisten gegen die Drogenkartelle und den Drogenhandel im Land. Allerdings können sie bislang nur mäßige Erfolge vorweisen und oftmals werden sogar die Behörden und die Polizei der Korruption und Kooperation mit den Kartellen verdächtigt. Diese Untätigkeit und Machtlosigkeit der Regierung und Polizei im Kampf gegen die Macht der Drogenkartelle führen dazu, dass sich mehr und mehr Bürger zu sogenannten Bürgerwehren zusammenschließen. Ausgestattet mit Waffen und schusssicheren Westen nehmen sie den Kampf gegen die Drogenkartelle und den Drogenhandel nun selbst in die Hand und versuchen, die Kartelle aus ihren Dörfern und Städten zu vertreiben.1

Während die Regierung Mexikos in der Vergangenheit noch versucht hatte, mithilfe des Militärs die Bürgerwehren zu unterbinden und zu entwaffnen, setzt sie heute zunehmend auf deren Unterstützung: Seit Ende Januar 2014 dürfen diese bewaffneten Gruppierungen in der Region Michoacán ganz legal für Sicherheit und Ordnung sorgen. Hierfür wurde ein Abkommen unterzeichnet, das besagt, dass die Bürgerwehren sowohl ihre Mitglieder als auch ihre Waffen registrieren lassen müssen, im Gegenzug dazu aber von den mexikanischen Sicherheitskräften mit Kommunikationstechnik und Fahrzeugen ausgestattet werden.2 Die Selbstverteidigungsgruppen sollen dabei in Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen in die regulären Sicherheitskräfte eingegliedert werden, fungieren vorerst allerdings als ländliche Polizeieinheiten.3

Obwohl die Bürgerwehren beispielsweise einen Großteil der Dörfer und Städte, die als Hochburgen des Tempelritter-Kartells galten, erfolgreich eingenommen haben und so die Bevölkerung vor Übergriffen der Drogenkartelle schützen konnten, ist ihre Legalisierung durch die Regierung nicht ganz ungefährlich: Beispiele in der Vergangenheit aus Guatemala, Kolumbien und Peru zeigen, wie schnell aus einfachen Bürgermilizen, stark bewaffnete paramilitärische Gruppierungen werden können, die außer Kontrolle geraten und ganz nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen handeln. Die Gruppen sind damals brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen, waren in Mord und Entführungen verwickelt und beteiligten sich am Ende sogar selbst am Drogengeschäft.4

Schon jetzt sind die Bürgerwehren in Mexiko immer stärker bewaffnet und ihnen wird nachgesagt, sich an kriminellen Handlungen zu beteiligen und dabei auf die Methoden der Drogenkartelle zurückzugreifen. Demnach erpressen auch sie Spenden von Bauern und einfachen Geschäftsleuten, entwaffnen Polizisten und entführen oder töten mutmaßliche Kartellmitglieder. Sie begehen also genau dieselben Verbrechen, für die sie die Kartelle verurteilen und bekämpfen. Im Gegenzug zu den Drogenkartellen werden die Selbstverteidigungsgruppen allerdings oftmals nicht zur Verantwortung gezogen, da den Vorfällen nicht strafrechtlich nachgegangen wird.5

Und auch der Regierung sind diese bewaffneten Gruppierungen zunehmend ein Dorn im Auge: Immer wieder kommt es zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Bürgerwehren. Nach dem Mord eines Anführers und seines Begleiters im März 2014 erreichten die Unruhen ihren Höhepunkt, worauf das Militär eingreifen musste, um die Streitigkeiten beizulegen und eine Eskalation zu verhindern.6

Langfristig werden die Bürgerwehren auch nicht in der Lage sein, die Rolle des Staates zu übernehmen und die Drogenkartelle und Drogenproblematik im mexikanischen Staat zu bekämpfen. Denn sie kämpfen hauptsächlich gegen die Unterdrückung und Bedrohung der Bevölkerung durch die Drogenkartelle, nicht aber gegen den Drogenschmuggel und –handel, den die Kartelle betreiben.7 Vielmehr muss endlich die Regierung aktiv werden und die Missstände schnell angehen, damit sie die Kontrolle über das Land nicht nur an die Kartelle verliert, sondern nicht auch noch an die Bürgerwehren.

 

Die Moskauer Studenten der „jungen Anti-Drogen-Spezialeinheit“

(c) mickepe | MorgueFile
(c) mickepe | MorgueFile

Jährlich sterben rund 100.000 Russen an den Folgen ihres Drogenkonsums und jedes Jahr werden immer größere Mengen an Opiaten, vor allem Heroin, Cannabis und synthetischen Drogen wie Speed, Ecstasy und Spice konsumiert. Doch anstatt Hilfsprogramme einzuleiten oder Entzugskliniken einzurichten, trifft die Regierung repressive Maßnahmen und zeigt keinerlei Verständnis für Suchtkranke.8 Das Substitutionsmittel Methadon ist staatlich verboten, Suchtkliniken existieren nicht und der Staat ahndet jegliche Drogendelikte mit schweren Strafen. Die scheinbare „Drogenpolitik“ musste schon vor Langem dem „Kampf gegen die Drogen“ weichen. Die Regierung hat es geschafft das Thema Drogen in der Bevölkerung zu stigmatisieren und die Suchtkranken an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Indem sie sie verteufelt, als Tiere bezeichnet und sie als Gefahr für die Gesellschaft dargestellt werden, fördert der Staat kontinuierlich die soziale Ausgrenzung der Suchtkranken.9

2012 gründeten Moskauer Studenten die MAS, die „junge Antidrogen-Spezialeinheit“. Die jungen Männer bekämpfen Drogendealer, und das ganz offiziell: In einer Pressemitteilung an Journalisten aus aller Welt sprechen sie über ihre Aktivitäten und bekunden ihr „zivilgesellschaftliches Engagement“ und ihre Unterstützung für das Allgemeinwohl und den Staat. Alle Mitglieder der MAS sind auch gleichzeitig Teil des „Jungen Russlands“, einer Jugendorganisation, die laut einer Pressesprecherin offiziell keiner Partei angehöre aber die derzeitige Regierung unterstütze. Mitglieder der Gruppe bekennen sich dazu, „die Interessen [des] Heimatlandes zu verteidigen“ und „Russland vor westlicher Expansion, Terrorismus und Korruption“ zu beschützen.

Derart prinzipientreu ist auch die MAS eingestellt. Gesetzestreu lehnen sie jegliche Drogen, bis auf Alkohol und Tabak, ab und kämpfen gezielt gegen die Droge Spice. Im Zentrum der Gruppe stehen etwa 30 Personen, allerdings haben sich in Nachbarstädten schon zahlreiche Nachahmer gezeigt. Eine alarmierende Entwicklung, wenn man bedenkt, wie die MAS vorgeht. Bis vor kurzem war es normal, dass die Mitglieder Drogendealer aufspürten, sie in eine Falle lockten, mit Gewalt brutal niederstreckten und anschließend der Polizei übergaben. Manche der Dealer wurden gefesselt, mit Füßen getreten und später mit Farbe übergossen. Das landete dann alles als Video im Internet, frei zugänglich für jeden abrufbar. Seit neuestem will die MAS einen anderen Kurs einschlagen. Sie verfolgen ein Image der Gewaltlosigkeit, allerdings mit wenig Erfolg. Immer noch werden Drogendealer schikaniert und brutal verprügelt. Der Moskauer Polizei ist die gewalttätige Studentengruppe schon längst bekannt, jedoch nicht im negativen Sinn. Anstatt bei den Festnahmen der Dealer Standpauken zu halten oder von Sachbeschädigung oder Körperverletzung zu sprechen, ermutigen die Polizisten die Studenten. Auch Präsident Putin ist sich der MAS wohl bewusst und bezeichnete in einem Zeltlager der Kreml-treuen Jugend die Aktionen als „sinnvoll“.

Mit dem noblen Ziel vor Augen den Drogen ein Ende zu setzen, macht sich die MAS frei von allen Regeln und Gesetzen. Trotz Gewalttaten und Sachbeschädigung stehen sie im Schein der verantwortungsvollen Helfer, werden von staatlicher Seite von aller Rechtssprechung befreit und werden von der Bevölkerung bewundert.1011

 

Wenn die Bürgerwehr zur größeren Gefahr wird

Die irischen Drogenkartelle regieren mit harter Hand in ihren Revieren. Ganz nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das organisierte Verbrechen reicht tief in die irische Gesellschaft. Die Ohnmacht der Regierung und der Polizei veranlasste die Republican Action Against Drugs (RAAD) dazu, selbst gegen die irische Drogenkriminalität vorzugehen. Opfer sind hauptsächlich Drogendealer, aber auch Menschen, die in irgendeiner Weise mit Rauschmitteln in Verbindung gebracht werden. Das Vorgehen der RAAD ist radikal. Denjenigen, den sie im Auge haben, stellen sie ein Ultimatum: Entweder man verlässt das Land oder man wird umgebracht. Verweigern die Verfolgten dies oder kehren nach einiger Zeit wieder zurück, droht ihnen mit Glück nur ein Knieschuss oder ein Bomben- oder Brandanschlag auf ihre Wohnungen, Autos oder andere Besitztümer. Die RAAD ist vor allem im Norden Irlands präsent. In Städten wie Derry oder Belfast

Free Derry Corner
(c) wikimedia commens: Louise Price

herrschen mittlerweile radikale Zustände. Seit sich die RAAD 2012 mit der Wahren IRA sowie einigen unabhängigen bewaffneten Gruppierungen zur Neuen IRA  zusammengeschlossen hat, richtet sich die Gewalt auch stetig gegen die Polizei und das Militär. Die selbst ernannten Ordnungshüter versuchen so ihre Macht zu demonstrieren und zu sichern. Doch ist die zunehmende Gewalt gegenüber staatlichen Sicherheitskräften auch ein Fingerabdruck der IRA (Irish Revolution Army) . Durch den Zusammenschluss mit der Wahren IRA waren wohl alte politische Forderungen Teil der Motivation für Macht- und Einflusserweiterung geworden. Schon lange sieht es so aus, als ob es bei den Kämpfen nicht mehr nur um die Ausrottung der Drogenlandschaft geht.12

Die IRA kämpfte für die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien. Die Mitglieder der IRA wurden früher von großen Teilen der Bevölkerung als Helden angesehen, jetzt verurteilen die meisten Iren die sogenannten Ordnungshüter und demonstrieren gegen den Anti-Drogen-Kurs. Zu viele Opfer brachte der Konflikt schon mit sich, nicht nur die harten Bestrafungsmethoden, auch die vielen willkürlichen Ermordungen stoßen zunehmend auf Unverständnis und Betroffenheit in der Bevölkerung.
Ob die irische Regierung den Einfluss der Neuen IRA eindämmen kann, steht noch aus. Bis jetzt zeigte sie sich nicht sehr effektiv. Allein durch Aussagen wie von Sinn-Féin-Politiker Gerry Kelly, dass „derartige Gruppierungen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“, wird man die terroristischen Gruppierungen wohl nicht zum Einlenken bekehren können.13

Ist Gewalt als Mittel gegen bereits vorhandene Gewalt wirklich der richtige Ansatz? Und darüber hinaus, wie ehrlich ist die „Selbstjustiz“ der Neuen IRA? Wird der Kampf gegen die Drogenkriminalität nicht eher als Vorwand genutzt, um ihre Vormachtstellung auszuweiten, um damit ihren politischen Ziele näher zu kommen?

 

 

  1. ARD Tagesschau: Mexiko gegen Bürgerwehren und Drogenkartelle – Artikel nicht mehr aufrufbar []
  2. Spiegel Online: Selbsthilfe gegen Drogenkartell: Mexiko legalisiert Bürgerwehren (zuletzt aufgerufen am 25.03.2014) []
  3. Handelsblatt: Mexikanische Bürgerwehren werden reguläre Sicherheitskräfte (nicht mehr verfügbar) []
  4. Insight Crime: Lessons for Mexico from Colombia: Vigilantes, Paramilitaries and Proxies (zuletzt aufgerufen am 25.03.2014) []
  5. Insight Crime: The Risks and Benefits of Legalizing Mexico’s Vigilantes (zuletzt aufgerufen am 25.03.2014) []
  6. Spiegel Online: Kampf gegen Drogenmafia: Bürgerwehr-Anführer wegen Mordverdacht verhaftet (zuletzt aufgerufen am 25.03.2014) []
  7. Insight Crime: ‚El Chayo‘ Dead but Knights Templar War with Vigilantes Rages On (zuletzt aufgerufen am 25.03.2014) []
  8. taz.blogs, 04.01.11: Rauschgift-Apokalypse in Russland – augerufen am 08.05.14 []
  9. Deutschlandfunk, 27.08.13: Keine Menschen, keine Probleme – aufgerufen am 08.05.14 []
  10. Motherboard, 26.02.13: Russian Street Gangs Are Hunting Down Dealers of Synthetic Drugs – aufgerufen am 15.05.14 []
  11. Zeit, 06.04.14: Russland: “Eine Abreibung, die sie nicht vergessen – aufgerufen am 22.04.14 []
  12. vice: free-derry-the-ira-drug-war. zuletzt aufgerufen am: 22.09.2014 []
  13. spiegel: nordirland-neue-ira-bekennt-sich-zu-erstem-mord. zuletzt geöffnet am: 22.09.2014 []

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