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Drogenproblem in Brasilien: Ist Entkriminalisierung die Lösung?

| Bild: © n.v.

Schon seit Jahren hat Brasilien mit einem massiven Gewaltproblem zu kämpfen – Ursache hierfür ist unter anderem eine immer noch ungelöste Drogenproblematik. Auch in Anbetracht der kommenden Großereignisse wie der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 oder den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro beschloss die Regierung, mit aller Gewalt dagegen vorzugehen. Der Erfolg dieser repressiven Strategie ist jedoch zweifelhaft – viele gehen davon aus, dass das Drogenproblem lediglich aus den öffentlichen Bereichen in die Randgebiete der Gesellschaft – sprich: in die Favelas – gedrängt wird.

Auch eine 2006 beschlossene Gesetzesänderung brachte bisher kaum Erfolg. Eigentlich war vorgesehen, dass durch die neue eingeführte Unterscheidung von Drogendealern und –konsumenten dem Justiz- und Polizeiapparat effizientere und gerechtere Handlungsmöglichkeiten eröffnet würden. De facto scheitert dies jedoch daran, dass das Gesetz nicht genau spezifiziert, mit welcher Drogenmenge man zu welcher Gruppe gehört. Stattdessen werden viele dunkelhäutige Konsumenten aus den Favelas fälschlicherweise als Dealer klassifiziert.

Auch die damals eingeführte Erhöhung der Mindesthaftstrafe für Drogenvergehen von drei auf fünf Jahre hat sich eher negativ ausgewirkt: Die Anzahl an Häftlingen, die aufgrund von Rauschgiftvergehen inhaftiert wurden, hat sich ab 2006 um 118% erhöht. Insgesamt beherbergen brasilianische Gefängnisse  nun schon beinahe 500 000 Personen. 1) Positive Auswirkungen auf die Sicherheitslage haben daraus noch nicht resultiert: Angaben der UNODC zufolge lag die Homizidrate 2010 immer noch bei 21 Ermordeten pro 100.000 Einwohnern – vier Jahre zuvor waren es 22,7. Mit knapp 41 000 Opfern weist Brasilien damit immer die höchste absolute Zahl an Getöteten weltweit auf. 2) Das brasilianische Justizministerium geht gar von circa 50 000 Ermordeten aus.

Im Jahre 1980, als Kokain und Crack noch kaum Schwierigkeiten darstellten, lag die Mordrate noch bei 11,7 Getöteten pro 100 000 Einwohner. Man schätzt, dass – auch durch den War on Drugs – eine Million Menschen in den letzten 30 Jahren gewaltsam zu Tode kamen. 3) Zudem wird davon ausgegangen, dass der Kampf gegen Drogen mehr Todesopfer und Kosten verursacht hat als das Drogenproblem an sich.

Angesichts dieser Zahlen fordert die populäre Denkfabrik Igrapé Institute nun eine Abkehr von dieser Politik. Dafür hatte sie eigens ein Komitee namens Pense Livre (übersetzt: Denk frei) eingerichtet, um Brasiliens Drogenpolitik zu überdenken. Nun wurden die zentralen Lösungsansätze in einem Vier-Punkte-Plan formuliert, welcher u.a. folgende Maßnahmen vorsieht:

  • Entkriminalisierung aller Drogen
  • Regulierung von Cannabis für medizinische Zwecke und persönlichen Eigenbedarf
  • Investitionen in Präventionsprogramme für Jugendliche sowie alternative Strafen für nicht-gewalttätige Ersttäter
  • Ermöglichung von medizinischer und wissenschaftlicher Forschung für alle Drogen

Hierbei wird betont, dass damit vor allem eine Verringerung der Gewalt im Zuge von Drogenhandel intendiert wird, nicht eine Verringerung des Konsums an sich.

Als positiver Nebeneffekt könnten die horrenden Kosten für den Polizei- und Gefängnisapparat eingespart und stattdessen effektiver eingesetzt werden.  4)

Schon seit Langem werden in Lateinamerika Stimmen laut, die sich für eine Entkriminalisierung von Rauschgiftmitteln aussprechen. Auch gehen in Brasilien jährlich tausende Menschen beim Marcha de Maconha auf die Straße, um für die Legalisierung von Marihuana zu protestieren. Von einer entsprechenden Resonanz auf den Vier-Punkte-Plan ist daher auszugehen.

Schon die ehemalige Kolonialmacht Portugal hatte bereits vor über zehn Jahren Drogen aller Art entkriminalisiert. Die Auswirkungen sind überraschend positiv: Einer 2011 veröffentlichten Studie zufolge nahm der Drogenkonsum in Portugal, besonders bei Minderjährigen, insgesamt ab. Auch die Anzahl der Rückfälligen, der HIV-Infizierten und der Todesopfer im Zusammenhang mit Drogen ist rückläufig.  5)

Inwiefern ein solches Modell vielleicht auch in Brasilien Realität wird, bleibt abzuwarten.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Drug decriminalization would remap Rio de Janeiro – Rio Real Blog – Englisch
  2. Intentional homicide, count and rate per 100,000 population – nicht mehr verfügbar
  3. Where Is Brazil in the Global Drug Debate?– Huffington Post – Englisch
  4. Could drug decriminalization save Brazil’s slums? – Washington Post – Englisch
  5. Entkriminalisierung am Beispiel Portugals – Drogen Macht Welt Schmerz

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