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Marching Powder: die erbarmungslose Wirklichkeit eines bolivianischen Gefängnisses

| Bild: © n.v.

Die Polizei griff Thomas McFadden mit 850 Gramm Kokain am Flughafen von La Paz auf, die dieser in seine Heimat, nach England, schmuggeln wollte. Daraufhin wurde er zu sechs Jahren Haft im San Pedro Gefängnis verurteilt. Noch während er seine Strafe absaß, entstand das weltbekannte Buch „Marching Powder“, das einen einmaligen Einblick in die erbarmungslose Gefängniswelt in der bolivianischen Andenstadt gibt.

Das San Pedro Gefängnis ist eine Stadt innerhalb der Stadt. Hier gelten ganz eigene Regeln, die Wärter sind hochgradig korrupt und die Polizei wagt sich nur selten hinein. Neuankömmlinge müssen sich erst einmal eine Zelle kaufen. Wer Geld hat, kann dort ein gutes Leben führen, in luxuriösen Wohnungen mit Fernsehen, Telefon und eigenen Badezimmern. Dort wohnen die Drogenbosse und korrupte Politiker. Für alle anderen ist es ein täglicher Kampf ums Überleben. Viele der Insassen eröffnen ein eigenes Geschäft oder bieten Dienstleistungen an, um über die Runden zu kommen. Nicht selten lebt dort die ganze Familie zusammen mit dem eigentlichen Gefangenen. In einem Land, in dem etwa die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, können sich viele Frauen mit ihren Kindern keine zusätzliche Wohnung leisten. 1)

Alkohol und Drogen sind leicht zu bekommen. Angeblich wird dort das beste Kokain der Welt produziert. Die Kokablätter, deren Anbau in Bolivien legal ist, werden an den Wärtern vorbei geschmuggelt und in Laboren innerhalb des Gefängnisses zu Kokain verarbeitet. Dass die meisten Insassen abhängig sind, ist also nicht überraschend. Erwähnenswert bleibt die sogenannte „Crack-Katze“, die wohl bekannteste kokainsüchtige Katze der Welt.

Kokain stellt jedoch die wichtigste Einnahmequelle dar, die das ganze Gefängnissystem am laufen hält. Koka wird von den Indios in Bolivien, Peru, Kolumbien und anderen südamerikanischen Ländern seit jeher als Heilpflanze verwendet. Die Blätter geben außerdem Kraft für die anstrengende Arbeit im Hochland der Anden. Präsident Evo Morales setzt sich nun seit einigen Jahren dafür ein, dass die Pflanze von der internationalen Drogenliste genommen wird und erhofft sich durch die Legalisierung einen Rückgang der illegalen Verwendung des Kokastrauchs zur Herstellung von Kokain. Stattdessen wird der in Bolivien heilige Strauch dort zu Tee, Medikamenten und anderen nützlichen Dingen verarbeitet. 2)

Um sich seinen Aufenthalt im Gefängnis zu finanzieren, begann McFadden, Touristen durch das Gefängnis zu führen. Sogar der Lonely Planet Reiseführer empfahl den Ort als eine der bizarrsten Touristenattraktionen.

Mittlerweile ist der Brite wieder auf freiem Fuß und es wurde angekündigt, dass das Gefängnis bald geschlossen werden soll. Konkreter Auslöser war wohl die Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens von seinem Vater, Onkel und Taufpaten. 3) Die Gründe liegen aber wahrscheinlich tiefer. Die Zustände im Gefängnis haben sich im Laufe der Zeit immer mehr zugespitzt, wie in „Marching Powder“ sehr anschaulich beschrieben wird.

Viele der Insassen fürchten nun allerdings, dass sie ohne Arbeitsplätze und ausreichende Qualifikationen in der „Freiheit“ nicht zurecht kommen werden und fordern Hilfe bei der Reintegration in die Gesellschaft. 4) Falls es in naher Zukunft nun tatsächlich zur Schließung kommt, bedeutet dies auch das Ende der illegalen Drogenlabore innerhalb der Gefängnismauern.

Ein großer Erfolg im Kampf gegen die Kokainproduktion in Bolivien? Wohl kaum. Die Herstellung des „weißen Goldes“ wird weitergehen, solange Nachfrage aus Ländern wie den USA und auch Deutschland besteht. Es bleibt allerdings spannend, abzuwarten, welche Auswirkungen die Legalisierung des Kokaanbaus in Bolivien auf Dauer hat. Die Vision des Präsidenten Morales ist ein Land ohne Kokain, aber nicht ohne Koka. 5)

Mehr Informationen zum Buch „Marching Powder“ hier.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. The World Factbook: Bolivia
  2. News ORF.at: Bolivien tritt wieder Drogenkonvention bei
  3. Latinapress: San Pedro: Bolivien schließt größtes Gefängnis des Landes
  4. BBC News: Bolivia prison inmates protest at closure plan
  5. Pulitzer Center: Coca Si, Cocaina No: Evo Morales‘ Coca Policy in Los Yungas, Bolivia

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