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Weißes Öl

| Bild: © n.v.

In einer der ersten Szenen des neuen Scorsese Blockbusters „The Wolf of Wall Street“ zieht sich Leonardo DiCaprio, in der Rolle des Jordan Belfort, eine Line weißes Pulver aus dem Gesäß einer Prostituierten in die Nase. Kokain spielt eine tragende Rolle im weiteren Verlauf des großen Oscar-Favoriten. Auch Roberto Saviano widmet sein neues Buch „ZeroZeroZero“ dem Gold der Anden. Sein erstes Buch war der weltweit Bekannte Bestseller „Gomorrha“ aus dem Jahr 2006. Dessen gestochen scharfe, jedoch gleichzeitig extrem lebhafte Schilderung der Machenschaften der italienischen Camorra, zwingen Saviano aufgrund anhaltender Todesdrohungen von Seiten der Mafia dazu, seit, wie er selbst schreibt, über 2310 Tagen unter Polizeischutz an geheimen Orten zu leben.

In seinem neuen Buch widmet sich Saviano also dem Kokain, dessen Konsum nicht nur an der Wall Street zum guten Ton gehört. Kokain ist eine der wenigen Drogen, abgesehen von Cannabis, die über alle Gesellschaftsschichten hinweg konsumiert wird. Man findet es sowohl auf den Toiletten unserer Volksvertreter in Berlin, als auch auf den Straßen der Republik. Allein in Europa soll es rund 13 Millionen aktive Kokskonsumenten geben. „Mit Kokain kannst du alles erreichen“, schreibt Saviano. „Kokain ist die erschöpfende Antwort auf das dringendste Bedürfnis unserer Zeit.“

Hinter dem weltweiten Kokainhandel stehen kriminelle Imperien deren Reichtum und Macht so unvorstellbar ist, dass Saviano nicht ohne Grund den reißerischen Untertitel „wie das Kokain die Welt beherrscht“ gewählt hat. Das Geschäft mit dem „weißen Öl“, wie Saviano es nennt, ist enorm lukrativ. Er sagt, dass Anlagen in die Erfolgsaktie des Apple-Konzerns zwar ganz nett seien, hätte man das Geld jedoch in Kokain investiert, hätte man mehr als das Hundertfache verdienen können. Die Gewinne aus dem Drogenhandel weltweit betragen jedes Jahr knapp 352 Milliarden Dollar. Über 97,4 Prozent aller Drogeneinkünfte der Kartelle werden dabei laut Saviano in Banken aus Europa oder den USA gewaschen. Ein großer Teil des Drogengeldes landet somit im legalen Wirtschaftskreislauf. Eine Tatsache, aus der Saviano eine kühne These ableitet. Er behauptet, dass ohne die Investitionen der Drogenbosse, deren Produkte krisenresistent sind, die Finanzkrise 2008/2009 noch viel schlimmere Ausmaße angenommen hätte. Denn die Gewinne der Drogenindustrie machen mehr als ein Drittel der Verluste des Bankensystems aus, die der IWF für 2009 weltweit angegeben hat.

Doch hinter diesen unglaublichen Summen stehen Männer mit Namen. Die unwirklich klingenden Namen lauten „Der Kurze“, „Die Sau“, „Der Trottel“. Der wirtschaftliche Einfluss dieser Charaktere ist jedoch sehr real. So schaffte es der 1,55 Meter große Pate des Sinaloa-Kartells, Joaquín Guzmán, genannt „Der Kurze“, 2009 auf Platz 41 der 67 „mächtigsten Menschen der Welt“ des US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“. Doch anders als Staatsoberhäupter oder Wirtschaftsbosse, unterhalten Drogenbosse ganze Privatarmeen, die keinerlei Kontrollorganen unterliegen, außer dem Willen der Bosse selbst. Und dieser Wille ist blutgetränkt. Im Februar 2013 erklärte die mexikanische Regierung, dass der Drogenkrieg in den sechs Jahren der Präsidentschaft von Calderón rund 70.000 Menschenleben gekostet habe. Bei Saviano werden die Menschen die hinter diesen Gewalttaten stehen lebendig. Er schildert Lebensläufe von Kriminellen wie der Patin Griselda, die erst als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient hat, dann ins Drogenmilieu einheiratete und später in Stripclubs, begleitet von ihrem Hund „Hitler“, aus Spaß Tänzerinnen erschießt. Sie ist nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Drogengrößen, die bei Saviano morden, foltern oder Angst verbreiten. Mal wird jemand aufgehängt oder in Ätznatron aufgelöst, mal wird ein offen gegen die Kartelle kämpfender Priester gezwungen die Vergewaltigung seiner minderjährigen Nichte mit anzusehen, nur um später seine abgetrennten Finger, Zehen und Genitalien zu verspeisen.

Ein Kapitel, des 500-Seiten-Buches werden besonders die deutschen Leser aufmerksam verfolgen, es heißt „Eldorado Deutschland“. Der Zustand, der Saviano folgend in Deutschland herrscht, ist erschreckend. Die Mafia hat hierzulande eine unglaubliche Macht entwickelt, doch weiterhin lautet das Motto der deutschen Behörden und der deutschen Öffentlichkeit, „wenn man nicht über die Mafia spricht, existiert sie nicht.“

Auch die Frage einer möglichen Legalisierung stellt er sich, und ringt mit vielen Fürs und Widers, für die Legalisierung von Kokain zu stimmen: „Weil sie nämlich dort greift, wo das Kokain auf fruchtbaren Boden fällt: im ökonomischen Gesetz von Angebot und Nachfrage. Versiegt die Nachfrage, geht alles, was ihr nachgeordnet ist, ein wie eine Blume, der man das Wasser entzieht.“ Doch sogleich fragt er wieder: „Ist das zu gewagt? Ist es eine Phantasie? Das Delirium eines Ungeheuers? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“

Roberto Savianos Kampf wird weitergehen. Seit 2006 lebt er im Untergrund und an manchen Stellen des Buches merkt man ihm an, dass er müde geworden ist. Doch sein Kampf geht weiter, muss weiter gehen, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Roberto Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht. Aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler. Hanser, München 2014. 480 S., 18, 99 €.

 

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