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Drogen und Gewalt im Jahr nach der Fußball WM – Brasiliens drittgrößte Stadt kommt nicht zur Ruhe

| Bild: © n.v.

Brasilien. Salvador de Bahia, Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Bahia, Austragungsort von 6 WM-Spielen vergangenen Jahres, darunter das erste Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal. Bekannt für seine Lebensfreude, besonders während des Karnevals und wegen seiner unzähligen Sehenswürdigkeiten. Brasiliens drittgrößte Stadt gilt vor allem auch aufgrund ihrer Direktflüge von und nach Deutschland als touristisch geschätzter und beliebter Anziehungspunkt. Einheimische bestätigen immer wieder, dass der Karneval in Salvador weitaus lebhafter und leidenschaftlicher zelebriert werde, als sein bekannter Bruder in Rio de Janeiro. 1)

Dies liegt möglicherweise auch an Salvadors offen gelebter Multikulturalität. So gilt die Municipio seit jeher als Schmelztiegel afroamerikanischer und brasilianischer Kultur. Küche, Musik und Religion prägen mit ihrer ganz speziellen afrobrasilianischen Art Stadtbild und Altstadt. Apropos Altstadt. Diese ist bereits seit 1985 als UNESCO Weltkulturerbe gelistet und zählt mit ihren bunten und verspielten Kolonialgebäuden zu den schönsten ihrer Art. Doch auch die Strände in der Umgebung gelten als absolute Highlights auf einer Reise durch Brasilien, sodass es wenig verwundert, dass die 2,6 Millionen zählende Stadt direkt an der Spitze der sogenannten „Baia de Todos os Sontos“ liegt. Zu Deutsch: die Allerheiligenbucht. Heilig sind vielen Salvadorianern vor allem ihre Kultur, Feierlaune und paradiesisch anmutenden Strände. 2)

Doch Salvador kennt auch eine andere Seite: eine sich sukzessive verschlimmernde Spirale der Gewalt zwischen verfeindeten Drogenkartellen. Bandenkriege. Ebenso simple wie schockierende Alltagsgewalt, beispielsweise bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. Schon heute verzeichnet Salvador mit 60 Morden auf 100.000 Einwohnern die höchste Mordrate unter allen brasilianischen Städten. Dies sind die Kehrseiten dieser facettenreichen Stadt. Wer an Gewalt, Mord und Kriminalität in Brasilien denkt, assoziiert damit als erstes die bekanntesten Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paulo. Dort ist die Mordrate inzwischen deutlich geringer als in Salvador.

Was macht Salvador, zigtausend Kilometer nördlich der Strände der Copacabana so gefährlich? Gefährlich auch für Reisende. Aber vor allem für die Brasilianer selbst, die tagtäglich mit der Gefahr einer Schießerei, eines kaltblütigen Mordes, Vergewaltigungen, Raubüberfallen oder einer einfachen Prügelei leben und ihren Alltag danach gestalten müssen.

Die Gründe sind vielschichtig. Brasilien gilt als aufstrebendes Schwellenland. Brasilien, Indien, China, Südafrika. Alle bewegen sich in Richtung einer Industrienation. Alle haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Salvador ist da ein Spiegelbild. Wo neuer Reichtum ist, bleibt häufig auch bei vielen Armut. Wo Armut ist, dort herrscht vielerorts Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. Wo Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit den Alltag vieler Menschen bestimmt, nehmen Drogen einen wichtigen Platz ein. Handel ermöglicht vielen Familien eine finanzielle Perspektive, zumindest eine Beschäftigung. Mitarbeit im Drogenhandel kann freiwillig geschehen, jedoch werden die Menschen viel häufiger aufgrund der instabilen sozialen Lage zur Mitarbeit gezwungen. 3)

Opfer der Drogengewalt müssen nicht zwangsläufig Teil von Drogenkartellen sein. Beschaffungskriminalität, das Einschüchtern Unbeteiligter oder Gewalt, die wiederum in Gegengewalt mündet, tragen einen erheblichen Teil zur schwierigen Sicherheitslage in Teilen Salvadors bei.

Häufig wird die Millionenmetropole Schauplatz von Einflusskriegen zwischen konkurrierenden Drogenkartellen um die Vorherrschaft im Stadtteil.

Diese sind streng nach Drogenkartellen aufgeteilt. Brasiliens einflussreichstes Drogenkartell Primeiro Comando da Capital (kurz PCC) erkannte schon vor einigen Jahren die Notwendigkeit, seinen Einflussbereich auch in den Norden Brasiliens auszubauen. Eine enorme Polizei- und Militärpräsenz in den bekanntesten Städten Rio de Janeiro und Sao Paolo im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft und den olympischen Sommerspielen 2016 erleichterten die Entscheidung mächtiger Drogenkartelle. Der Einflussbereich musste ausgebaut und gleichzeitig verlagert werden.

Der Schritt erscheint aus Sicht der Drogenkartelle nachvollziehbar. Salvador de Bahia, zwar WM-Spielort und bei Touristen beliebt, hat in der Weltöffentlichkeit bei weitem nicht den Bekanntheitsgrad, den die Stadt am Zuckerhut genießt. Rio ist und bleibt der sicherheitstechnische Gradmesser in der Weltöffentlichkeit. Ist Rio sicher, ist Brasilien sicher, lautete jahrelang das Dogma. So bewertete die Weltöffentlichkeit die Tauglichkeit Brasiliens als Gastgeber für die beiden größten Sportereignisse der Welt. Dabei ging es nicht einmal um die Sicherheit Rios, sondern um die Sicherheit für Touristen an touristischen Orten und Sehenswürdigkeiten Rios. Ein riesiger Unterschied. Die brasilianische Regierung kam dieser Aufforderung nach. Rio wurde umgekrempelt. Das Militär in die Favelas geschickt. Der Einflussbereich der Drogenkartelle scheinbar zurückgedrängt. Tatsächlich zurückgedrängt? Nach Norden verlagert. Die scheinbaren Erfolge der brasilianischen Regierung gegen die (Drogen-)kriminalität wirken unter diesem Aspekt fadenscheinig. 4)

Das mächtigste Drogenkartell Brasiliens PCC dehnte seinen Einflussbereich gen Salvador aus. Und stieß prompt auf Widerstand. Der lokale Drogenhandel war bereits von kriminellen Gangs wie beispielsweise Peace Comand und Gropo de Perna strukturiert, besetzt und nicht minder umkämpft. Was folgte, war ein unübersichtlicher Kampf zwischen mächtigen Drogenkartellen, verbündeten und verfeindeten Gangs, um Macht, Einfluss und Geld. 5)

Ganze Straßenzüge und Viertel gelten entweder als PCC, PC oder GdP Gebiet. Während der Osten Salvadors als Grupo de Perna Gebiet gilt, erstreckt sich der Einflussbereich des Peace Comand auf die westlichen Stadtbezirke. Blutige Kämpfe sind an der Tagesordnung und traumatisieren eine ganze Stadt. Eine beängstigende Gewaltkultur, auch abseits der organisierten Kriminalität, hat sich in der Millionenmetropole fest verankert.

Dazu die grassierende Korruption in der öffentlichen Verwaltung. Alles und jeder gilt als käuflich. Geld bedeutet Einfluss. Einfluss bedeutet Macht. Drogenkartellen spielt dies in die Hände und erleichtert ihnen den Zugang zu sogenannten neuen Absatzmärkten. Und die Spirale der Gewalt dreht sich weiter in Brasiliens drittgrößter Stadt.

Aber wie lassen sich diese gar so widersprüchlichen Gesichter einer Stadt zusammenfügen? Tourismus, Traumstrände, Lebensfreude, unzählbare Sehenswürdigkeiten, aufstrebende Wirtschaft in einem Schwellenland, aber dann die sich tagtäglich verschlimmernde Drogengewalt, organisierte Kriminalität, Mord und Totschlag.

Salvador de Bahia – eine tragisch schöne Millionenmetropole an Brasiliens Küste. Geschätzt und gefährlich. Lebensfroh und leidgeprüft.

 

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. wiktravel.org: Salvador de Bahía – Stand 6.2.2015
  2. wikipedia.org: Salvador (Bahia) – Stand 6.2.2015
  3. Zeit Online: Aufstrebende Märkte sind noch keine Mächte – Stand 6.2.2015
  4. Spiegel Online: Staatsgewalt in Rio de Janeiro: Militär rückt vor der WM in weiteren Favelas ein – Stand 6.2.2015
  5. insightcrime.org: what makes Salvador Brazil most violent city – Stand 6.2.2015

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