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Brasilien: Drogenkartelle regieren die Gefängnisse

Am 2. Januar 2017 kam es zu einer massiven Gefängnisrevolte im brasilianischen Manaus. Diese erfolgte jedoch nicht, um Verbesserung der Haftbedingungen durchzusetzen, oder aufgrund eines Fluchtversuchs, sondern nachdem ein Konflikt zwischen Mitgliedern der Drogensyndikate PCC und Familia do Norte (Familie des Nordens) eskalierte. PCC steht für Primeiro Comando da Capital (erstes Kommando der Hauptstadt) und ist eines der mächtigsten Drogenkartelle Brasiliens. | Bild: © n.v.

Am 2. Januar 2017 kam es zu einer massiven Gefängnisrevolte im brasilianischen Manaus. Diese erfolgte jedoch nicht, um Verbesserung der Haftbedingungen durchzusetzen, oder aufgrund eines Fluchtversuchs, sondern nachdem ein Konflikt zwischen Mitgliedern der Drogensyndikate PCC und Familia do Norte (Familie des Nordens)  eskalierte. PCC steht für Primeiro Comando da Capital (erstes Kommando der Hauptstadt) und ist eines der mächtigsten Drogenkartelle Brasiliens. 1)

Ursprünglich wurde dieses 1992 in einem Gefängnis in São Paulo gegründet und es weitet nun seinen Machtbereich bis in den Norden des Landes aus. Dabei entstehen regelmäßig Konflikte mit rivalisierenden Kartellen, wie Familia do Norte und ihren ehemals Alliierten, dem Comando Vermelho (Rotes Kommando).  Das PCC ist äußerst gewaltbereit und hat  immer wieder blutige Gefängnisrevolten und Anschläge auf Polizeibeamte zu verantworten. Besonders seit der Auflösung des Bündnisses mit dem Comando Vermelho im Oktober 2016 kam es vermehrt zu hochgradig gewalttätigen Aufständen in brasilianischen Gefängnissen, die auf Machtkämpfe zwischen Drogenkartellen zurückzuführen sind. 2)

 Auch während des 17-stündigen Aufstands  Anfang 2017 ging es zerstörerisch und grausam zu. Im Gefängnis Anísio Jobim wurden Baracken niedergebrannt, Wärter als Geiseln genommen, rund 60 Häftlinge brutal ermordet und über 100 der Gefangenen nutzten die Unruhe zur Flucht. 3) Gewalttaten wie diese sind vor allem die Konsequenz anhaltender Kämpfe verschiedener Syndikate um die Vorherrschaft im Kokainhandel innerhalb Brasiliens, aber auch um das lukrative Exportziel Europa. 2)

Grundlage für die Gefängnisbrutalität unter Kartellmitgliedern ist nicht allein die ausgeprägte internationale Nachfrage der Rauschmittel, sondern auch strukturelle Schwächen und extreme Überfüllung der Haftanstalten, die zu  unmenschlichen Bedingungen führten. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Zustände in den Gefängnissen als „brutal, inhuman, entwürdigend“. 4) Es herrscht ein Klima der Gewalt, welches weder von den Justizvollzugsbeamten noch von den Behörden kontrolliert werden kann. Der ehemalige Justizminister José Eduardo Cardozo charakterisierte die brasilianischen Gefängnisse bereits vor zwei Jahren als „wahre Schulen des Verbrechens“, 5) denn häufig werden Gefangene aufgrund kleinerer Delikte inhaftiert und erst im Gefängnis von den Kartellen rekrutiert. 3)  Die Syndikate können frei operieren, ohne von Wachleuten aufgehalten zu werden. Dass Häftlinge Waffen, Handys und Drogen besitzen, ist keine Seltenheit. 6)

Haftanstalten sind nunmehr rechtsfreie Räume, die nur noch von den Kartellen regiert werden. Sich widersetzendes Gefängnispersonal muss um seine eigene und die Sicherheit der Familien bangen. Auch Insassen, die nicht in die Machenschaften der Kartelle involviert werden wollen, werden nicht verschont. 7)

Häufig sind daher auch die Wärter in kriminelle Handlungen verwickelt. Selbst der Polizei und einigen Politikern wird eine Verstrickung in die Aktivitäten der Kartelle vorgeworfen. Nachforschungen der brasilianischen Staatsanwaltschaft zufolge besteht zwischen  Familia do Norte und der Regierung bereits seit 2015 ein Abkommen, in welchem vereinbart wurde, dass die Mitglieder unkontrolliert Gangaktivitäten ausüben können und im Gegenzug den Frieden in Gefängnissen bewahren müssen. Es existieren sogar Telefonmitschnitte und Handynachrichten, die die Mitwirkung des Gouverneurs Melo belegen. Er streitet diese Vorwürfe jedoch ab. Das Abkommen erleichtert den Drogensyndikaten das Agieren auch außerhalb der Gefängnisse. So konnten Morde und Folterungen nicht nur ungestört in den Haftanstalten durchgeführt werden, sondern auch aus den Gefängniszellen heraus angeordnet werden. 3)

Die Überforderung der Regierung mit der Kriminalität in Brasilien manifestiert sich nicht bloß in der maßlosen Überfüllung der Gefängnisse und fehlenden Resozialisierungsprogrammen, sondern auch in der Machtlosigkeit gegenüber den Kartellen. Die Zustände in Brasiliens Gefängnissen bieten einen fruchtbaren Boden für Gangaktivitäten. Haftanstalten werden von den Kartellen als Rekrutierungs- und Trainingsstätten genutzt. Die Behörden können weder die regelmäßigen Gefängnisaufstände verhindern noch können sie die Machenschaften der Kartelle unterbinden. Im Gegenteil, die Kartelle beeinflussen Justizvollzugsbeamte und hochrangige Regierungsmitglieder. Dies hat die Stärkung ihrer Machtposition und möglicherweise die Straffreiheit für mächtige Drogensyndikate zur Folge.

 

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Tagesschau: Gefängnisrevolte mit vielen Toten; Haftanstalt in Manaus; Artikel vom 06.01.2017
  2. InSight Crime: First Capital Command – PCC; Artikel vom 05.01.2017
  3. Welt: Aufstände, Massaker – die gefährlichsten Gefängnisse der Welt; Artikel vom 09.01.2017
  4. Abendblatt: Horror Szenen bei Gefängnisrevolte mit 56 Toten in Brasilien; Aufstand; Artikel vom 03.01.2017
  5. Stuttgarter Nachrichten: Massaker in brasilianischem Gefängnis; Krieg der Drogengangs; Artikel vom 03.01.2017
  6. Tagesschau: Gefängnisrevolte mit vielen Toten; Haftanstalt in Manaus; Artikel vom 03.01.2017
  7. Stuttgarter Nachrichten: Massaker in brasilianischem Gefängnis; Krieg der Drogengangs; Artikel vom 03.01.2017

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