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Opium fürs Volk? – Wie das Pharma-Kartell von der Opioid-Krise in den USA profitiert

Laut CBS News erleben wir derzeit die schlimmste Drogenepidemie in der amerikanischen Geschichte. In diesem Zusammenhang wird auch oftmals von der Opioid-Krise gesprochen. Tatsächlich sterben in den USA jeden Tag 142 Menschen an einer Überdosis Opioiden wie Oxycodon, Fentanyl oder Heroin – das sind mehr als bei Autounfällen und Schießereien zusammen. Mit 95 Millionen Amerikanern bekommt fast ein Drittel (!) der US-Bevölkerung Opioide als Schmerz- und Schlafmittel verschrieben. Knapp 3 Millionen sind davon abhängig, 59.000 kamen im Jahr 2015 davon ums Leben. Insgesamt dürften in den vergangenen bis zu 15 Jahren 300.000 Menschen daran verstorben sein. Aufgrund ihrer Abhängigkeit können zudem viele junge Menschen nicht mehr arbeiten. Der wirtschaftliche Schaden wird auf 78,5 Milliarden US-Dollar geschätzt (Medical Care, Florence et al, 2016). | Bild: © n.v.

Laut CBS News erleben wir derzeit die schlimmste Drogenepidemie in der amerikanischen Geschichte. In diesem Zusammenhang wird auch oftmals von der Opioid-Krise gesprochen. Tatsächlich sterben in den USA jeden Tag 142 Menschen an einer Überdosis Opioiden wie Oxycodon, Fentanyl oder Heroin – das sind mehr als bei Autounfällen und Schießereien zusammen. Mit 95 Millionen Amerikanern bekommt fast ein Drittel (!) der US-Bevölkerung Opioide als Schmerz- und Schlafmittel verschrieben. Knapp 3 Millionen sind davon abhängig, 59.000 kamen im Jahr 2015 davon ums Leben. Insgesamt dürften in den vergangenen bis zu 15 Jahren 300.000 Menschen daran verstorben sein. Aufgrund ihrer Abhängigkeit können zudem viele junge Menschen nicht mehr arbeiten. Der wirtschaftliche Schaden wird auf 78,5 Milliarden US-Dollar geschätzt (Medical Care, Florence et al, 2016). 1) 2) 3) 4)

Bizarrerweise kam es 2016 im Rahmen von „Obamacare“ zu einer Gesetzesänderung, die den Zugriff der Drogenfahndung DEA auf verdächtige Großlieferungen erschwerte. Wenn eine winzige Privatklinik irgendwo in der Provinz täglich über 100 Rezepte für eine Zwei-Monats-Ration an Oxycontin – unter diesem Namen wurde das Schmerzmittel Oxycodon von der Firma Purdue 1995 erstmals auf den Markt gebracht – ausschrieb, reichte der DEA der Verdacht, um die Ware zu beschlagnahmen und Ermittlungen einzuleiten. Nach dem unter Obama erlassenen Gesetz, muss sie nun zunächst Beweise liefern, dass es sich dabei tatsächlich um kriminelle Verschreibungen handelt. Freilich ist nur unter großem Aufwand nachweisbar, dass die aus dem ganzen Land anreisenden „Patienten“ tatsächlich Dealer sind, die den Stoff dann in ihren Heimatstädten weiterverkaufen. Insbesondere „Oxy“ eignet sich gut für den Medikamentenmissbrauch; denn wer das Mittel schluckt, in dessen Blut entfaltet es nur langsam und kontinuierlich seine Wirkung. Wenn man die Tabletten jedoch zerstößt und schnupft, erhält man einen Kick wie bei einer Heroinspritze. Studien zeigen, dass 3 von 4 Heroinabhängigen, die nach dem Jahr 2000 süchtig geworden sind, zunächst mit verschriebenen Opiaten angefangen haben. 5) 2)

Letztlich, so schlussfolgert ZeitOnline, liegt der Auslöser der Opioid-Krise im unmoralischen Verhalten der pharmazeutischen Großunternehmen. „Sie wussten, es war falsch und sie haben es trotzdem getan – und sie machen damit weiter“, fasst der Generalstaatsanwalt von Ohio Mike DeWine zusammen. Derzeit laufen mehrere Klagen, die der Bundesstaat gegen fünf Pharmakonzerne wegen irreführender Opioid-Werbung in die Wege geleitet hat. Wer glaubt, dass deren Werbekampagnen keinen großen Einfluss auf das Konsumverhalten der Menschen hätten, der irrt gewaltig. In den USA dürfen im Gegensatz zu Deutschland auch verschreibungspflichtige Medikamente beworben werden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt auf, dass von Patienten mit Ischiasbeschwerden, die von ihren Ärzten Oxycodon forderten, jeder fünfte auch mit dem Medikament ausgestattet wurde. Wenn diese Forderung hingegen ausblieb, kam es lediglich in einem von hundert Fällen zu einer Verschreibung. Zuvor hatten die Pharmakonzerne es geschafft, die Opioide als wirksam und zugleich „nicht süchtig machend“ darzustellen. Noch im Jahr 2001 sagte ein Purdue-Vorstandsmitglied vor dem Kongress, dass eine Abhängigkeit nicht üblich, sondern selten sei, wenn der Schmerzpatient richtig behandelt würde. Dass der Familienclan des Herstellers Purdue Pharma, der zuvor Ohrenschmalz-Entferner herstellte, mittlerweile zu den 16 reichsten Familien der USA gehört, sei hier nur am Rande erwähnt. 2) 6) 7)

Reagan Iran-Contra-Affäre
US-Präsident Reagan tauscht sich am 25. November 1986 mit Gehilfen in der Iran-Contra-Affäre aus © White House Photo Office [Public Domain] – Wikimedia Commons

Die Kongressabgeordneten Hal Rogers und Mary Bono brachten über viele Jahre hinweg immer wieder Gesetzesvorschläge zur strikteren Reglementierung des Opioid-Verkaufs ein und setzten sich dafür ein, dass Ärzte vermehrt hinsichtlich der Risiken von Opioiden geschult werden. Wer sich jedoch mit Big Pharma anlegt, muss damit rechnen massiv unter Beschuss genommen zu werden. Der Vorwurf der Lobby lautete, dass Millionen von Menschen einer legitimen Behandlung ihres chronischen Schmerzes beraubt würden. Das Kartell ging sogar soweit, dass sie Mittel dafür aufwendeten, die Krise den Millionen Menschen, die süchtig geworden sind, in die Schuhe zu schieben. Die Massenverschreibung der mächtigen Opioide zu adressieren, liegt selbstredend nicht im Selbstverständnis der selbsternannten Wohltäter.

Keine andere Industrie gibt so viel Geld aus wie die Pharma, um Politiker zu beeinflussen. 9 von 10 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und alle bis auf drei der 100 Senatoren haben für ihre Kampagnen Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen erhalten. Zwei Pharma-Lobbyisten kommen in Washington auf jeden Kongressabgeordneten. Nach Angaben des „Center for Responsive Politics“ wurden allein im Jahr 2016 152 Millionen US-Dollar durch die Branche ausgegeben, um die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen. 3) 8)

Ein Exkurs: Wenn man die Crack-Epidemie im Amerika der 80er und 90er Jahre genauer untersucht, lassen sich hier ähnliche Strukturen feststellen, die als unheilvolle Allianz aus Drogenhandel, Krieg und Terrorismus charakterisiert werden können. Beispielhaft hierfür ist die sogenannte Iran-Contra-Affäre. Als 1986 ein amerikanisches Transportflugzeug mit einer Kokain-Ladung über dem nicaraguanischen Dschungel abstürzte, kam diese ins Rollen. Letztendlich kam heraus, dass im Geheimen direkt vom Weißen Haus Waffenlieferungen an den Iran genehmigt wurden, der sich gerade im Krieg mit dem ebenfalls von den USA unterstützen Irak befand (Erster Golfkrieg 1980-1988). (Für alle, die sich wundern: Hier haben wir es mit dem Prinzip: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte“ Oder:“ Divide et impera“ – „Teile und herrsche“ zu tun). Aus den Profiten finanzierte man dann die ebenfalls illegalen Waffenlieferungen an die nicaraguanische Contra-Miliz, welche die linksgerichtete, sandinistische Regierung bekämpfte. Um die Kämpfer zu unterstützen, förderte man zugleich auch deren Kokain-Handel mit den USA. So hatte der Chef-Pilot der Iran-Contra-Flotte, Barry Seal, wöchentlich bis zu 1.500 Kilogramm Kokain in die USA gebracht – alles im Auftrag und unter Aufsicht der CIA und ausgestattet mit modernstem Gerät der US-Armee zur Überlistung der Radarüberwachung. Auf die Frage, ob er tatsächlich den massenhaften Import von Kokain in die USA, der im Folgenden die Crack-Epidemie auslöste, unterstützt hat, antwortete CIA-Direktor William Casey in einer ehrlichen Stunde:

„Meine Aktionen mögen als kriminell angesehen werden, weil sie zahllose Amerikaner zur Drogenabhängigkeit verdammen. Das ist mir egal. Jeder Krieg produziert Opfer. Grundsätzlich ist ein Krieg um so kürzer, je gewalttätiger er ist. Meine Wahl war, entweder einem andauernden Guerillaaufstand des Kalten Kriegs in Lateinamerika zuzuschauen oder die verfügbaren Mittel zu nutzen, um einen gewalttätigen Krieg von kurzer Dauer für die Demokratie zu finanzieren und zu führen. Ich stehe zu meinen Entscheidungen. Das Werkzeug ist Kokain. Der Trick ist zu verstehen, dass die Drogenkonsumenten die Freiheit der Wahl haben. Sie wählten die Droge. Und ich entschied, ihre Gewohnheit zu benutzen, um die Demokratie zu finanzieren, an der sich alle Amerikaner erfreuen. Und um diese Amerikaner vor der kommunistischen Bedrohung zu schützen, die an unsere Hintertür in Lateinamerika klopft. Um dies zu ändern muss der Drogenkonsument seinen gesellschaftlichen Beitrag leisten.“ 9) 10) 11) 12)

Heroinflasche von der Firma Friedrich Bayer & Co Elberfeld
Heroinflasche von der Firma Friedrich Bayer & Co Elberfeld © dog97209 [CC BY-NC-ND 2.0] – Flickr 
Doch zurück zur Opioid-Epidemie: Das Geschäftsmodell mit dem seit der Antike als Schmerz- und Schlafmittel bekannten Saft des Mohns – genannt Opium – hat sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert. Laut dem Journalisten und Sachbuchautor Mathias Bröckers (u.a. „Die Drogenlüge – Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden“) geht es immer darum, dem sofort wirkenden Stoff durch Beimischungen eine langsamere „retard“-Wirkung zu verschaffen – und dann zu behaupten, dass das Suchtpotential nahezu verschwinde.

 

Rückblende: Im Jahr 1896 brachte eine kleine Firma in Elberfeld am Rhein, die zuvor vor allem Farben herstellte, ein Opioid auf den Markt, welches die aus dem deutsch-französischen Krieg zurückgekehrten morphinabhängigen Soldaten wieder zu „Heroen“ machen sollte. „Heroin“ hieß das Wundermittel der Firma Bayer, welche alsbald zu einem der weltweit größten Pharmakonzerne aufsteigen sollte. Durch Beimischungen, so hieß es, habe man das Morphin derart verändert, dass es seine süchtig machende Wirkung fast verliere.

„Ich hab ein Arkanum und heiß‘ es Laudanum“, frohlockte Paracelsus einst, seine Opiumtinktur beschreibend. Alsbald hielt diese Einzug in die europäische Medizin und war noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts rezeptfrei in jeder Apotheke zu erwerben. Eine Epidemie, massenhafte Abhängigkeit und Tote an Überdosierungen waren in all den Jahrhunderten nicht zu beklagen. All dies setzte erst ein, als die großen Pharmaunternehmen begannen, mit patentierten Stoffen wie Heroin und anderen Opioiden quasi den Turbo zu zünden.

Dass US-Präsident Donald Trump letztes Jahr den nationalen Notstand ausgerufen hat, um mehr Mittel zur Krisenbekämpfung zur Verfügung zu stellen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, auch wenn er vermutlich nicht an der Wurzel des Problems ansetzt. Vielleicht, so Bröckers, wäre es ja durchaus angebracht, als Erste Hilfe das gute alte Laudanum wieder preisgünstig auf den Markt zu bringen. Da es darauf keine Patente gibt und daher keine großen Profite zu erwarten sind, stehen dafür die Chancen jedoch gering. 5) 13)

 

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. CBS New: Ex-DEA agent Opioid crisis fueled by drug industry and Congress; Artikel vom 17.10.2017
  2. Zeit Online: Opioid-Krise. Der Notstand wird die Schmerzmittelsucht nicht beenden; Artikel vom 11.8.2017
  3. The Guardian: How big pharma’s money – and its politicians – feed the US opioid crisis; Artikel vom 19.10.2017
  4. Medical Care: The Economic Burden of Prescription Opioid Overdose, Abuse, and Dependence in the United States, 2013; Studie von 10.2016
  5. KenFm: Big Pharma Crime – die Opioid-Epidemie; Artikel vom 24.10.2017
  6. CBS New: Ex-DEA agent Opioid crisis fueled by drug industry and Congress; Artikel vom 17.10.2017
  7. Forbes.com: The OxyContin Clan: The 14 Billion Newcomer to Forbes 2015 List of Richest U.S. Families; Artikel vom 1.7.2015
  8. Center for Responsive Politics: Lobbying Spending Database, Pharmaceutical manufacturing, 2016; Stand: 29.8.2018
  9. Daniele Ganser: Illegale Kriege, S. 154-156; 2016
  10. KenFm: Unabhängig, unerschrocken, unbeugsam; 6.2.2018
  11. Wikipedia: Iran-Contra-Affäre; 29.8.2018
  12. Wikipedia: Erster Golfkrieg; Stand: 29.8.2018
  13. Zeit Online: Opioid-Krise. Der Notstand wird die Schmerzmittelsucht nicht beenden; Artikel vom 11.8.2017

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