Khat-Konsum hält jemenitischen Bürgerkrieg am Leben

Seit der Unabhängigkeit 1990 kommt das auf der arabischen Halbinsel gelegene Land nicht mehr zur Ruhe. Nachdem 2014 die Hauptstadt durch schiitische Huthirebellen erobert wurde und Saudi-Arabien in den Konflikt eingetreten ist, hat sich die Situation noch weiter verschlimmert. Kriegerische Auseinandersetzungen und Luftangriffe fordern seitdem tausende zivile Todesopfer. Auch die landwirtschaftliche Nahrungsproduktion ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, sodass es in den letzten Jahren zu einer extremen Hungerkatastrophe gekommen ist. Brach liegen die Felder jedoch nicht – statt Obst und Gemüse wächst jetzt überall Khat. Diese kaubare Droge verspricht dem Konsumenten kurzzeitige Zerstreuung und Glück. Überall ist sie zu finden. Auf Märkten, an den Straßen und in den Haushalten – so versuchen mittlerweile 90 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen durch den Konsum dem täglichen Leid und Hunger zu entkommen. Denn neben der berauschenden Wirkung sorgt Khat auch für ein vorübergehendes Sättigungsgefühl. Trotzdem kann es  die Not an Nahrungsmitteln nicht kompensieren und den schleichenden Hungertod nicht aufhalten.12

Bis vor kurzem fand das Kauen von Khat noch in geregelten Verhältnissen statt, denn die Prozedur ist seit Jahrhunderten Teil der jemenitischen Kultur. Nur war sie auf die nördlichen Bergregionen begrenzt und wurde maximal einmal in der Woche praktiziert. Insbesondere nach der Wiedervereinigung des Jemens hat sich die Droge jedoch über alle Landesteile ausgebreitet. Mit der Verschlimmerung des Bürgerkrieges und der zunehmenden Perspektivlosigkeit ist sie durch ihren landesweiten Konsum längst zu einem gesellschaftszersetzenden Faktor geworden. Auch unter Kindern ist das Kauen an der Tagesordnung, denn Khat gibt es schon zu recht geringen Preisen. Doch manche Konsumenten treiben sich und ihre Familien in den Ruin, denn der Erwerb qualitativ hochwertiger Blätter kann auch bis zu 800 Dollar kosten. Längst spielt das Rauschmittel bei den verschiedenen militärischen Akteuren im Jemen ebenfalls eine Rolle. Im Interview sagt ein hoher jemenitischer General: „Es ist unser Whiskey und gibt uns genug Kraft, um zu kämpfen“. Besonders nützlich ist es zugleich in der Beeinflussung und Manipulation der vielen Kindersoldaten im Konfliktgebiet.2

Die Huthirebellen im Norden des Landes kontrollieren die meisten Anbaugebiete. Somit finanzieren sie durch den Verkauf einen Großteil ihrer Ausrüstung und der militärischen Einsätze – der Handel zwischen den Konfliktparteien läuft relativ friedlich ab, denn beide Seiten profitieren von hohen Steuereinnahmen. Ein khatabhängiger Soldat im Süden bringt das Problem auf den Punkt: „Wir bekämpfen die Huthis mit unseren Waffen und unterstützen sie gleichzeitig durch unsere Münder“. So fördert die jemenitische Volksdroge nicht nur den Hunger im Land, sondern gleichzeitig auch den Bürgerkrieg. Die einzigen, die in diesem Zusammenhang wirklich profitieren, sind die Bauern, welche schon Jahrzehnte im Geschäft sind. Erst mussten sie fürchten, dass der Krieg ihre Einkünfte ebenfalls gefährden wird, wie es bei ihren Nachbarn, den Obstbauern, der Fall war. Doch heute gehören sie zu den wohlhabendsten Persönlichkeiten im Land und expandieren mit ihrem Anbau wie noch nie. Natürlich wissen die meisten über die Folgen der Droge für ihr Land Bescheid – doch leider übersteigt die Profitgier das Verantwortungsbewusstsein bei weitem.23

Jedes Jahr wird die Landwirtschaft so immer weiter verdrängt und die Ausbreitung der Khatfelder  vorangetrieben – denn die Nachfrage reißt nicht ab. Man schätzt mit jährlich 6 Hektar mehr Anbaufläche zugunsten der Rauschpflanze, was recht viel ist, betrachtet man die wenigen fruchtbaren Regionen im Jemen, welche sich überhaupt für den Ackerbau eignen. Neben der Verdrängung von Nahrungsmitteln hat der Khatanbau auch noch einen weiteren Nachteil, denn die Pflanze braucht viel mehr Wasser als andere. Schon jetzt herrscht neben dem Hunger eine gefährliche Wasserknappheit – so hat circa die Hälfte der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser. Da die gleiche Anzahl unter den Jeminiten jedoch bereits abhängig ist, würde ein Verzicht auf die Droge für sie ähnlich schmerzhaft sein wie Hunger oder Durst. Für die 17 Millionen von Hunger betroffenen Menschen im Jemen scheint es also keinen Ausweg aus dieser Zwickmühle zu geben.14

Der Hauptgrund im Jemen, welcher die Menschen in den exzessiven Konsum treibt, liegt in der allgemeinen Perspektivlosigkeit und der täglichen Konfrontation mit Leid und Tod infolge des Bürgerkrieges. Ohne die Einstellung der Kämpfe und die weitere Destabilisierung der Region wird diese Entwicklung nicht einzudämmen sein.  Leider findet der Konflikt in den westlichen Medien kaum eine Beachtung, was internationale Friedensbemühungen extrem hemmt. Dabei haben wir eine hohe Verantwortung in der Region, was an der waffentechnischen Ausrüstung vieler beteiligter Parteien liegt – diese Waffen befördern den Konflikt, welcher in großen Teilen nur durch Khat aufrechterhalten wird. Doch auch nach der Einstellung der Kämpfe wird es schwer sein, dem abhängigen und psychisch belasteten Volk neue Lebenswege aufzuzeigen und die Menschen aus ihrer berauschten Scheinwelt herauszuholen.2

 

  1. rnz: Krieg, Armut und Drogen im Jemen: «Khat lässt uns Sorgen vergessen»; Artikel vom 22.02.2017 [] []
  2. economist: The drug that is starving Yemen; Artikel vom 04.01.2018 [] [] [] []
  3. thenational: Yemen’s qat sales soar as war drags on; Artikel vom 26.03.2017 []
  4. arabnews: Qat and its relationship with impoverished Yemen; Beitrag vom 18.04.2018 []

Über Lukas / earthlink

Ich bin Student und bin grade dabei meinen Bachelor in Politikwissenschaft und Soziologie abzuschließen. Während meines Studiums habe ich ein Semester im Ausland verbracht. Währenddessen habe ich mich aktiv mit Peace and Conflict studies beschäftigt. Um mich in diesem Kontext noch weiter zu informieren und selbst aktiv zu werden, habe ich mich für ein Praktikum bei earthlink entschieden.
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