Die Neue Seidenstraße – ein neuer „Highway to Heroin“?

Die von sinnlichen und abenteuerlichen Geschichten umrankte Seidenstraße – seit der Antike gilt das Netz aus Karawanenstraßen als der Katalysator des Austausches von Handelswaren und Ideen zwischen Ost und West. Ihren heutigen Namen erhielt die 6.400 Kilometer lange, im fernen chinesischen Xi‘ an beginnende und im Mittelmeerraum sowie auf der Arabischen Halbinsel endende Route erst 1877 vom deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen. Seide war in jener Zeit schließlich das Hauptexportgut des „Reiches der Mitte“. Das gefragte Gut fand vor allem Anklang an den späteren europäischen Fürsten- und Königshöfen, wo sich die Damen anmutig in farbenprächtige und raffinierte Gewänder hüllten und in einen Wettstreit an Schönheit begaben. Geschätzt wurde von der Obrigkeit natürlich auch das feine Dinieren von Gebratenem oder Gebackenem, je nach Wusch verfeinert mit Muskat, Safran oder Pfeffer aus Fernost, dargeboten auf kunstvoll verziertem Porzellan aus fernen Ländern. Die funkelnden Edelsteine, das fremdartige Parfüm und die hoch wirksamen Aphrodisiaka wurden in den Schlössern und Palästen ebenso geschätzt wie die besonderen Arzneimittel, die bei jeglicher Art von Krankheit Linderung verschafften. Der Venezianer Marco Polo, der auf jener Route im 13. Jahrhundert nach China reiste, schwärmte in seinen Berichten über die „blaugrünen Lapislazuli, die feinsten Lapislazuli der Welt“. Er lobt die „riesigen Kokosnüsse“, die „besten Fische der Welt“ und den „wohlschmeckenden Wein“. Noch an seinem Sterbebett im Jahre 1324 prahlt er: „Ich habe noch nicht einmal die Hälfte dessen niedergeschrieben, was ich gesehen habe“. Doch nicht nur die Waren strömten eifrig entlang der Wege – es fand auch ein reger Austausch von Ideen, Philosophien und theologischen Gedankengebäuden statt. So war die alte Route nicht nur Handelsweg, sondern stets auch ein Pfad der Gelehrten.1234

Tatsächlich erfuhr die Seidenstraße mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahre 1492 und dem Aufkommen der Seefahrt mehr und mehr an Bedeutung. Neue Handelsrouten und Länder wurden erschlossen und ein Zeitalter der Domäne des Seeweges begann.1

Heute, im 21. Jahrhundert, soll es zu einer Wiederbelebung der antiken Handelswege kommen. „One Belt, One Road“ – unter diesem Motto soll die alte Straße wieder zu neuem Leben erweckt werden. Als „Projekt des Jahrhunderts“ bezeichnete der chinesische Präsident Xi Jinping den geostrategischen Masterplan, der Fernost über die zentralasiatischen Republiken wieder enger mit dem Nahen Osten und Europa verbinden soll.5

Springen wir nach Amerika: Die USA hatten zwei große Schübe in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Der eine fand im 19. Jahrhundert statt, als mit dem Aufkommen der Eisenbahnlinien der Westen erschlossen wurde. Der zweite, vielleicht noch bedeutsamere, ereignete sich in den 1950er Jahren. Indem ein Autobahnsystem aufgebaut wurde, das die geschäftige West- mit der florierenden Ostküste verband, erfuhr die weitgehend unerschlossene und brachliegende Mitte Amerikas eine Aufwertung. Da die LKWs und Autos nicht an einem Tag von New York nach Los Angelos fahren konnten, entstanden entlang der Strecke neben den Tankstellen kleine Diners und Hotels. Nach und nach etablierten sich Siedlungen mit Werkstätten sowie Schulen und Kindergärten für die Kinder der dort arbeitenden Menschen. Schließlich wurden die Rohstoffe entlang der Strecke angeschlossen und es entstanden Boomtowns. Kurz: die Verkehrsadern brachten einen riesigen Wirtschaftsboom über das ganze Land. Nebenbei bemerkt: Wenn wir uns den Namen des Systems ­ „Interstate Transportation and Defense Highway“ genauer zu Gemüte führen, fällt etwas auf, worauf uns das Wörtchen „Defense“ einen kleinen Hinweis gibt. Eigentlich handelt es sich bei den Transportwegen nämlich nicht nur um ein wirtschaftliches Projekt, sondern es steht auch ein militärisches Interesse dahinter. Tatsächlich diente der bei diesem Infrastrukturprojekt federführende Präsident Eisenhower auch schon als General im 2. Weltkrieg. Dort fiel ihm die enorme strategische Bedeutung auf, die den Autobahnen zukamen, wenn es darum ging, Truppen und militärisches Gerät schnell von A nach B zu verlegen.6

Zurück in die Zukunft: Dasselbe – das Verbinden der Ballungszentren – soll nun auf dem eurasischen Kontinent stattfinden. Der bekannte Finanzexperte und geostrategische Analyst Dirk Müller versucht das Geschehen einzuordnen: „Aus rein ökonomischer Sicht wäre das – wenn es erfolgreich umgesetzt würde – das größte Wirtschaftwunderprojekt, das dieser Kontinent jemals gesehen hat und würde uns vermutlich über die nächsten 100 Jahre einen Wirtschaftboom bescheren, den wir uns nicht ansatzweise vorstellen können, von dem wir über Generationen profitieren würden, und wo dann die ganzen Rohstoffe in Zentralasien, die jetzt brachliegen oder noch fast unberührt liegen, angeschlossen wären, wo sich Boomtowns mitten in Eurasien bilden würden, wo sich plötzlich die Wegesstrecken (auch auf dem Landwege zwischen China und Europa) brutal verkürzen würden. Das heißt, es wäre ein unglaublicher Boom, ein Zusammenkommen der Menschen auf dem eurasischen Kontinent, wie es eben damals in den USA war.“67

Heroinrouten in Südwestasien

Heroinrouten in Südwestasien © CIA [public domain] – Wikimedia Commons

Doch halt – da wir uns hier ja auf den Seiten von „DrogenMachtWeltSchmerz“ befinden, sei gefragt: Wo ist nun der Konnex zu dem Drogenthema? Nun ja, neue Wege bedeuten immer auch neue Transitmöglichkeiten für Drogen. Tatsächlich ist die alte Handelsroute – was Drogen angeht – nie wirklich eingeschlafen. In Afghanistan, dem größten Opium- und Heroinproduzenten der Welt, werden jährlich 5.300 Tonnen Opium hergestellt, wovon 2.700 Tonnen weiter zu Heroin verarbeitet werden. Damit stellt das zentralasiatische Land zwei Drittel der weltweiten Produktion. (Zum Vergleich: Myanmar, der Zweitplatzierte, produziert im Jahr 500 Tonnen Opium, davon 450 Tonnen Heroin). Aus Afghanistan findet die Droge über zwei Hauptrouten, die dem Verlauf der alten Seidenstraße entsprechen, nach Europa. Der Stoff fließt derart ungebremst durch diese Hauptadern, dass ihnen der Spitzname „Highway to Heroin“ zu Teil wurde. Die Nordroute führt über die fünf zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgistan und Kasachsten nach Russland und von dort aus weiter nach Europa. Die Südroute mündet via Iran und die Türkei in die Balkanroute nach Europa.

Im Unterschied zu den lateinamerikanischen Schmuggelrouten gilt der Weg über Zentralasien als „El Dorado“ für die Schmugglerbanden; es gibt keinen Kleinkrieg zwischen Kartellen und Drogenbossen und auch die Kriminalität und die Mordrate im Zusammenhang mit Drogen ist relativ gering. Die Korruption und Bestechlichkeit der staatlichen Stellen hingegen spielt den Banden in die Karten. Das geringe Risiko macht diesen Handel zu einem profitablen Geschäft. Kostet ein Kilogramm Heroin an der tadschikischen Grenze zu Afghanistan noch 3.000 Euro, so steigt der Preis im Verlauf der langen Reise um ein Vielfaches: Bis zu 100.000 Euro kassieren Dealer in Deutschland für ein Kilogramm. Die Transitländer sind von diesen Geschäften insofern betroffen, als der Zugang zu der Droge für die Bevölkerung extrem erleichtert wird. „Historisch gesehen wird Zentralasien bisher immer als eine Transitregion für Drogen porträtiert, in der die Substanzen vom Ausland importiert, und ins Ausland wieder exportiert werden, aber nicht im Land bleiben. Die Realität aber ist, es gibt einen lokalen Markt in Zentralasien“, sagt Ernest Robelló, Experte für Drogenpolitik und –prävention und früherer Mitarbeiter bei der Drogenbekämpfungsbehörde der Vereinten Nationen UNODC.89

Wie beeinflusst der Transit den Alltag in jenen Ländern? Blicken wir dazu nach Aserbaidschan, das an der Südroute liegt und durch das das Heroin aus dem Iran kommend nach Russland fließt. Internationale Zollabkommen wie das sogenannte TIR, welche den freien Fluss von Waren begünstigen, leisten auch dem Durchgang von Opiaten Vorschub. Die Gewinnspannen sind enorm. Werden an der Grenze zum Iran für ein Kilogramm bestes afghanisches Heroin noch 35.000 Dollar gezahlt, bekommt man in Russland dafür bereits das Doppelte. Da darf sich ein aserbaidschanischer Volksschullehrer mit einem Monatslohn von 20 Euro wie ein Lottogewinner fühlen. Mezahir Efendiew, Koordinator des EU-finanzierten „Anti-Drogen-Programms Südkaukasus“, beschreibt die Situation wie folgt: „Wir haben bisher keine großen Mengen gefunden, gerade mal fünf Kilo. Aber wir glauben, dass sie es tonnenweise hierher bringen. Das kann man anhand des plötzlichen Reichtums des einen oder anderen Bewohners ermessen. Ein Mann ohne Ausbildung und Arbeit baut sich plötzlich zwei

Altes kaukasisches Dorf Xinaliq im Norden Aserbaidschans

Altes kaukasisches Dorf Xinaliq im Norden Aserbaidschans © Pierre [CC BY-NC-ND 2.0] – Flickr

Häuser, kauft sich vier Autos und hat zwei, drei Villen in Baku – der handelt nicht mit Tomaten.“ Der oberste Drogenbekämpfer im Land weist auf die unrühmliche Rolle von Polizei und staatlichen Stellen im Handel mit dem begehrten Gut hin und prangert an: „Die beschlagnahmen Heroin und verkaufen es auf eigene Rechnung. Wenn du kein Bulle bist, kannst du nicht mit Drogen handeln. Dann setzen sie dich 15, 20 Jahre fest. So läuft’s. Die Gegend hier ist eine Transitzone. Hier herrscht Krieg, ein Krieg ums Geld.“ Prägnant zusammengefasst könnte man es so ausdrücken: Die junge Generation, von Perspektivlosigkeit erdrückt, hängt an der Nadel, während die Polizei für Nachschub sorgt; die Regierung sieht zu und die wichtigen Medien, zumeist staatlich kontrolliert, schweigen; zugleich geht das einfache Volk auch nicht auf die Straße, ein Protest bleibt aus. Woraus speist sich diese Stagnation? Für Efendiew hat dies kulturelle Gründe: „Die Leute, die viel Geld mit Drogen verdient haben, sind sehr wohltätig und helfen allen. Es ist bei uns nicht üblich, schlecht über solche Leute zu reden, Namen zu nennen. Vor allem wenn sie auch noch wohltätig sind, dann könnte man auch darüber hinwegsehen, dass sie ihr Geld mit Drogen verdient haben.“ Anhand der islamischen Republik Aserbaidschan lässt sich exemplarisch beobachten, wie das Heroin die jungen Nachfolgestaaten der Sowjetunion am „Highway to Heroin“ einnebelt und, einen Abwärtsstrudel forcierend, mit Korruption und Perspektivlosigkeit überdeckt.10

Blicken wir zum Abschluss noch einmal auf das Mammutprojekt „One Belt, One Road“. Laut Dirk Müller ist es keine Frage mehr, ob dieses realisiert wird. Es geht lediglich noch darum, unter wessen Ägide es durchgeführt wird: Werden die Chinesen alleiniger Bauherr sein? Welche Rolle werden die Europäer und Russen spielen? Und werden die Amerikaner es zulassen, dass das Projekt an ihren Interessen vorbei umgesetzt wird? Diese Fragen seien für heute hintangestellt. Sicher scheint zu sein, dass in nicht allzu entfernter Zukunft ein gigantisches Netz an Infrastruktur auf dem eurasischen Kontinent entstehen wird, welches sich auch auf den Transit von Drogen auswirken wird. Es ist zu vermuten, nicht im positiven Sinne.6

  1. Wikipedia: Seidenstraße; Stand: 23.1.2019 [] []
  2. Neues Deutschland: Seide, Schwarzpulver, Seltene Erden; Artikel vom 28.1.2017 []
  3. National Geographic: Marco Polo: Der ewig Reisende; Stand: 23.1.2019 []
  4. Wikipedia: Marco Polo; Stand 23.1.2019 []
  5. Capital: Projekt Seidenstraße: Chinas neuer Plan; Artikel vom 21.9.2019 []
  6. KenFM: KenFM im Gespräch mit Dirk Müller („Machtbeben“); Beitrag vom 16.12.2018 [] [] []
  7. Wikipedia: Dirk Müller; Stand: 23.1.2019 []
  8. Novastan: Highway to Heroin – vom Drogenhandel und Neuen Konsum in Zentralasien; Artikel vom 6.1.2018 []
  9. Zeit.de: Heroin auf der Seidenstraße; Artikel vom 21.11.2002 []
  10. Deutschlandfunk: Leben am „Heroin Highway“. Aserbaidschan und die Drogenmafia; Artikel vom 1.2.2005 []

Über daniel / earthlink

Projektmitarbeiter, Sozialwissenschaftler und Friedens- und Konfliktforscher; Interessensschwerpunkte: Geostrategie, Internationale Beziehungen, Wirtschafts- und Finanzsystem; Aktuelle Projekte: Radiosendung in Kooperation mit unserem Partner Radio LORA; Kampagnen: Fluchtgrund, Drogen Macht Welt Schmerz, Aktiv gegen Kinderarbeit
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