Kolumbien: Der Krieg gegen die FARC ist beendet, das Leid der Koka-Bauern bleibt

In den letzten Jahren floriert die Kokainproduktion in Kolumbien wie nie zuvor. Derzeit wird davon ausgegangen, dass auf etwa 171.000 Hektar Koka angebaut wird, aus dem in einem Jahr um die 710 Tonnen Kokain hervorgehen. Zahlen, die der Zeit von Pablo Escobar Konkurrenz machen. Eigentlich war man sich sicher, dass der Frieden mit der marxistischen FARC Guerilla auch einen Rückgang bei der Drogenproduktion mit sich bringen würde. Die FARC hatte sich auch durch die Beteiligung am Handel mit Kokain finanziert, das vor allem in die USA und nach Europa geliefert und dort konsumiert wird. Aber den Platz der FARC haben längst andere Akteure eingenommen, häufig ehemalige Bürgerkriegskämpfer der ultrarechten AUC, die sich nach ihrer Zerschlagung zunehmend in Kartellen organisierten. In Kolumbien nennt man sie „Bacrim“ (Bandas Criminales).123

Als Hauptabnehmerland – schätzungsweise 90 Prozent des verkauften Kokains stammen aus Kolumbien – hat die USA großes Interesse daran, die Kokaproduktion in Kolumbien entscheidend einzudämmen. Vor allem seit der Regierung von Präsident Trump üben die Vereinigten Staaten wieder vermehrt Druck auf Kolumbien aus, einen ihrer wichtigsten Verbündeten in Südamerika. Unter Anderem drängen die USA auch dazu die weitreichende Eradikationsprogramme mit Glyphosat wiederaufzunehmen, einem Mittel, das im Verdacht steht, stark krebserregend zu sein und wegen dem innerhalb der USA bereits zahlreiche Klagen laufen. Nach dem Willen des Außenministers Mike Pompeo soll Glyphosat in großem Maße aus der Luft über den Kokafeldern versprüht werden, um die Droge an ihrer Wurzel zu vernichten. Die Methode ist nicht neu, sie war bereits seit 1999 im Rahmen des von den USA unterstützten „Plan Colombia“ eingesetzt worden: Bis 2015 wurden so 1,8 Millionen Hektar Land vernichtet. Das Glyphosat vernichtete dabei nicht nur Kokafelder, sondern nebenbei auch Nahrungsmittelpflanzen, verunreinigte Trinkwasservorkommen und löste eine Vielzahl von Krankheiten bei der betroffenen Bevölkerung aus. Unabhängig von den ökologischen und gesundheitlichen Folgen, stellte sich die Maßnahme auch als völlig wirkungslos in Bezug auf das gewollt Ergebnis heraus: Die Bauern waren nach dem Besprühen einfach in andere Regionen ausgewichen und nach etwa einem Jahr konnten auch die vernichteten Felder wieder mit Koka bepflanzt werden. Das oberste Gericht in Kolumbien hatte der Eradikation deshalb ein Verbot erteilt und die Regierung hält derzeit noch daran fest, auch um den Friedensvertrag mit der FARC, in dem der Verzicht auf die Vernichtung von Kokafeldern verankert ist, nicht zu verletzen. Allerdings ist fragwürdig, wie lange dieser Standpunkt aufrecht erhalten wird und Kolumbien sich dem zunehmend energischen Willen der USA widersetzt. Denn augenscheinlich wirkt das derzeitige Vorgehen der kolumbianischen Regierung, die Bauern mit Finanzhilfen zum Anbau alternativer Pflanzen zu bewegen, nicht: Der Regierung fehlen schlicht die Mittel, um das Projekt mit Kosten von 450 Millionen Dollar jährlich alleine zu stemmen. Mit dem Hinweis darauf, dass von dem Programm auch jetzt „arbeitslose“ FARC-Kämpfer profitieren könnten, weigert sich die USA es zu unterstützen. Obwohl die FARC seit nun mittlerweile zwei Jahren die Waffen niedergelegt hat, gelten ihre ehemaligen Mitglieder in Washington, anders als die rechtsgesinnte AUC, die als Gegner der FARC jahrzehntelang indirekt unterstützt wurde, nach wie vor als Terroristen. Diese dürften weder direkt noch indirekt von Finanzierungshilfen für alternative Anbaumöglichkeiten profitieren.453678

Für die meisten Bauern bleibt Koka somit die beste Pflanze, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Viele, die sich zum Wechsel entschieden haben, bereuen ihre Entscheidung zutiefst und beklagen, dass sie buchstäblich hungern müssen. Im Spiel des internationalen Kokainhandels sind die Kokabauern die bemitleidenswertesten Teilnehmer. Sie werden im Milliardengeschäft mit der Droge zwischen den Parteien und ihren Interessen zerrieben: Verabschieden sie sich vom Anbau von Koka, werden sie bedroht von finanziellen Einbußen und Armut oder der Gewalt der „Bacrim“, die ihr Geschäft gefährdet sehen. Bleiben sie beim Koka, können sie zwar zunächst ihr Überleben sichern, werden aber als Teil des brutalen Kokaingeschäfts zu Sündenböcken gemacht und früher oder später von den härtesten Repressionen getroffen. Bis hin zu Giftmitteln, die über ihren Köpfen versprüht werden, als wären sie der Ursprung allen Übels. Sämtliche Maßnahmen, die die Kokaproduktion selbst betreffen, gehen bisher weitgehend am Ziel vorbei. Es mag logisch wirken: Kein Koka, kein Kokain. Aber Koka ist nicht Kokain, sondern eine uralte Nutzpflanze mit jahrhunderterlanger Tradition. Die Weiterverarbeitung zur Arznei, dann zur Droge und die so entstandene, immense Wertsteigerung, die Kriminalisierung und die darauf basierende Strafverfolgung und nicht zuletzt die verheerende Wirkung auf die Konsumenten: All das wurde nicht von denjenigen an die Pflanze herangetragen, die sie anbauen. Die Droge Kokain ist nicht auf den Feldern Kolumbiens entstanden, sondern in den Ländern, die damals wie heute die Nachfrage danach aufrecht erhalten.52

Es ist ein scheinheiliges und zu einfaches Handeln, ständig mit dem Finger auf die Länder zu zeigen, in denen die Droge hergestellt wird. Man sollte meinen, dass der marktorientierte Westen ein einfaches volkswirtschaftliches Konzept verstanden haben müsste: Die Nachfrage bestimmt den Markt. Das zu akzeptieren, würde allerdings bedeuten, endlich nach innen zu blicken und sich die enormen sozialen Zerwürfnisse einzugestehen, die häufig der Auslöser für den Konsum von Drogen sind. Gerade bei Kokain, dem illegalen Aufputschmittel schlechthin, müsste das allerdings auch sehr grundsätzlich werden und Vorgänge hinterfragen, die an sämtliche Bereiche der Gesellschaft „Leistung“ als einzigen Maßstab anlegen. Da erscheint es leichter, weiter mit dem Finger zu zeigen. Aber immerhin ein Schritt könnte recht einfach gegangen werden, um zumindest den kriminellen Aspekten des Drogenhandels den Nährboden zu entziehen. Jhon Jairo Velásquez ist einer, der es wissen muss: Etwa 250 Menschen hat er für den berüchtigten Drogenboss Pablo Escobar umgebracht. Auf die Frage, wie man den Kokainhändlern wirksam begegnen könnte antwortete er schlicht: „Man müsste es legalisieren“.2

  1. tagesspiegel.de: Bauern pflanzen mehr Koka an; Artikel vom 05. März 2018 []
  2. Handelsblatt: Der unheimliche Koka-Boom; Artikel vom 04. Juli 2017 [] [] []
  3. taz.de: Rückkehr des „Drogenkrieges“; Artikel vom 04. Januar 2019 [] []
  4. Süddeutsche.de: Kolumbien kämpft gegen den Schnee von morgen; Artikel vom 18. Mai 2017 []
  5. Colombia Reports: US Secretary of State doubles down on backing aerial coca spraying in Colombia; Artikel vom 12. Juni 2019 [] []
  6. inthesetimes.com: When the Government Orders You to Burn Your Crops; Artikel vom 24. Oktober 2017 []
  7. talkingdrugs.org: Ending the ‘war on drugs’ requires justice for the impoverished communities who grow them; Artikel vom 17. Juni 2019 []
  8. Colombia Reports: Drug trafficking from Colombia up since Duque took office; Artikel vom 30. März 2019 []

Über Luis / earthlink

Ich bin der Luis und habe gerade meinen Bachelor in Soziologie an der LMU abgeschlossen. Bevor mich die Theorie im Herbst wieder einholt, wollte ich noch etwas den Münchner Frühling und Sommer genießen. Damit die Gedanken über Politik und Gesellschaft nicht nur an der Isar oder dem Kletterfelsen Ausdruck finden, bin ich hier und hoffe, ich werde noch einiges lernen.
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